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Verschleppt in den Osten

Tabuthema Beuteparkplatz – das Schweigen muss jetzt ein Ende haben

Aus allen Parkplätzen wurde mit einem Presslufthammer die Seriennummer entfernt

„Dies hier“, sagt Welabetia von Kalinchen, „ist das letzte Foto von ihm. Das war Ende März 1945.“ Sie greift nach dem Damasttaschentuch mit den goldgewirkten Initialen. „Ein paar Tage später stand da ein russischer Panzer, und wir haben ihn nie mehr wieder gesehen.“ Die vergilbte Fotografie zittert in ihrer greisen, feingliedrigen Hand. Wir erkennen die Einfahrt zu einem herrschaftlichen Anwesen im feinen Berliner Westen. Ein großes, schmiedeeisernes Tor, davor die leere Straße. Leer? Welabetia von Kalinchen schüttelt mit der ganzen Energie ihrer 94 Jahre den Kopf. „Da war nicht nichts. Da war unser Parkplatz.“ Düster fügt sie hinzu. „Und der Russe hat ihn uns genommen.“

Beuteparkplätze. Hinter diesem Wort verbirgt sich noch immer eines der traurigsten Kapitel der unsäglichen deutschen Leidensgeschichte aus dem Weltkrieg zwei. Wie viele es waren, die damals in den Osten verschleppt wurden, weiß keiner genau. Oder will es keiner exakt wissen …?

Alfred Matzke, Sprecher der Initiative „Beuteparkplätze – ein Kerngut deutscher Kultur will nach Hause“ und Mitglied der Jungen Union Berlin-Steglitz, schätzt die Zahl auf mehr als 200.000 allein in Berlin. „Das war ein fröhliches Plündern damals. Bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch. Ich persönlich habe nichts gegen Russen. Wir haben zu Hause zum Beispiel eine russische Putzfrau und sind hochzufrieden mit ihr, aber was damals geschehen ist, war Unrecht. Und über Unrecht muss man reden. Sachlich und ohne Nachtreten. Auch wenn der Muschkote als solcher zur Verschlagenheit neigt, braucht er nicht glauben, dass er damit ungeschoren davonkommt.“

Udo Schnitt arbeitet in der Berliner Senatsverwaltung für Verkehr. Er ist zuständig für Parkraumbewirtschaftung und will Matzkes Zahlen weder bestätigen noch dementieren, aber auch er räumt ein: „Es hat da in den Jahren nach dem Krieg einen immensen Schwund gegeben. Zunächst hat das keiner gemerkt, die Leute hatten ja andere Sorgen. Aber so nach einigen Jahren, da hat man sich dann angestoßen und gesagt: Mensch, hier war doch früher auch mal einer gewesen. Bis 1990 hat sich da natürlich keiner rangetraut, das war diplomatisch viel zu heikel. Aber bei den heutigen Problemen in der Parkraumbewirtschaftung darf man keine falschen Tabus aufbauen. Bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, aber die Stadt hier platzt aus allen Nähten und die im Osten haben nicht mal Autos.“

Schauplatzwechsel. Minsk, die Hauptstadt Weißrusslands. Wenn man vom Flugplatz in die Stadt fährt, fallen einem sofort die gigantischen Parkplatzfelder an beiden Seiten der Straße auf. Bis ins Stadtzentrum hinein zieht sich ein endloses Band von fußballgroßen Massenparkplätzen, die bis auf vereinzelte graue Rostbeulen undefinierbarer Provenienz leer gefegt sind. Die Stadtverwaltung lässt den vereinbarten Termin mit uns platzen, und die Menschen auf der Straße antworten ausweichend, wenn man sie fragt, woher die Parkplätze kommen. „Stalin“, sagt ein Mann kurz angebunden und huscht vorbei. „Weißrussisch ich nicht“, lautet eine häufig gehörte Antwort. Bei unseren stichpunktartig durchgeführten Bodenproben stellen wir fest, dass aus allen Parkplätzen offenbar mit einem Presslufthammer die Seriennummer entfernt wurde. Die Sieger der Geschichte haben saubere Arbeit geleistet.

Zurück in Berlin. In seinem Büro am Werderschen Markt sitzt uns Dr. Olaf Teske gegenüber. Seit fünf Jahren leitet er im Außenministerium den Sonderstab „Beuteparkplätze“. Eine kleine Abteilung mit einem hochbrisanten Arbeitsfeld. „Natürlich kochen da auf beiden Seiten die Emotionen hoch“, erklärt Teske. „Das ist etwas völlig anderes als bei der Beutekunst. Den meisten Deutschen ist es doch im Grunde Schniepel, ob ein Botticelli zurückgegeben wird. Wer weiß, wie lange es Museen überhaupt noch gibt bei uns. Da kann das Zeug auch in Russland bleiben. Kleine Fische. Bei Parkplätzen, da geht’s ans Eingemachte. Wir sind über die Initiative von Herrn Matzke nicht besonders glücklich, das muss ich Ihnen ehrlich sagen. Aber das Ganze ist auch eine wirtschaftliche Frage. Wenn die deutschen Autobauer diesen riesigen Markt erschließen wollen, und es gibt genügend Parkplätze, erleichtert das natürlich vieles.“

Alfred Matzke weiß, dass es noch lange dauern wird, bis dem deutschen Volk Gerechtigkeit in dieser Angelegenheit widerfährt. Im geplanten Vertriebenenzentrum soll es zumindest einen Gedenkraum für die Beuteparkplätze geben. „Ein begehbarer Hangar wäre eigentlich angemessen“, sagt Matzke, „auch wenn er nur symbolischen Charakter haben kann.“ Täglich gehen bei ihm Fotos, Briefe und Lebensraumberichte über vermisste Parkplätze ein. Für Welabetia von Kalinchen käme ein solcher Erinnerungsort in jedem Fall zu spät. Eine Woche nach unserem letzten Gespräch ist sie sanft entschlafen, den Schlager ihrer Jugend auf den Lippen: „Ich hab noch einen Parkplatz in Berlin.“

ROB ALEF

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