Eine Stammtischdiskussion

Manfred Häupl, 44, ist Geschäftsführer des Münchner Trekking-Veranstalters Hauser Exkursionen. Er kritisiert den undifferenzierten Umgang mit Reisewarnungen und bereiste mit einer Gruppe demonstrativ den algerischen Süden

INTERVIEW GÜNTER ERMLICH

taz: Im Januar reiste eine kleine Gruppe mit Hauser Exkursionen zwei Wochen lang durch die südalgerische Sahara. Das war die erste Tour eines deutschen Veranstalters seit den Entführungen im vergangenen Frühjahr. Warum haben Sie diese Reisegruppe persönlich begleitet, Herr Häupl?

Manfred Häupl: Wir wollten den Interessenten und auch der Öffentlichkeit zeigen, dass wir wieder Vertrauen haben, in die algerische Sahara zu fahren.

Ist Ihnen das Sicherheitsrisiko nicht zu hoch gewesen? Schließlich gab es einen Sicherheitshinweis: „Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen in Gebiete südlich der Städte Béchar, Ghardaia und Touggourt.“

Ich habe mehrere Wochen lang intensivste Recherchen betrieben und alle Puzzleteile zusammengetragen. Ich habe mit unabhängigen Sahara-Experten gesprochen, mit Veranstalterkollegen aus Deutschland, Frankreich und Italien, mit Vertretern großer Konzerne, die über gute Kontakte in Algerien verfügen, und unserem Tuareg-Partner, der algerischen Reiseagentur. Daraus ergab sich übereinstimmend die Aussage, dass man sich mit einer kompetenten Begleitmannschaft, die in der Regel aus Tuareg besteht, in die von ihnen empfohlenen Gebiete im Süden wagen kann.

Am 15. Januar 2004 wurde der Sicherheitshinweis sogar noch verschärft: Jetzt „warnt“ das Auswärtige Amt „nachdrücklich“ vor Reisen in die südalgerische Sahara. „Aktuelle Hinweise deuten darauf hin, dass erneut Entführungen von Bürgern westlicher Staaten geplant werden könnten.“

Es ist nicht nachvollziehbar, auf welche Quellen sich diese neue Verschärfung der Hinweise stützt. Wir erwarten vom Auswärtigen Amt, dass es zumindest begründet, wie es zu dieser Einschätzung kommt. Warum wird nicht auch auf Informationen gehört, die wir vor Ort eingeholt haben und die in eine ganz andere Richtung deuten? Das Auswärtige Amt sollte die bestehenden Sicherheitshinweise differenzieren und konkretisieren, die neuen Bedingungen für Algerienreisen kommunizieren und die pauschale Ächtung des gesamten Südens aufgeben. Wir sind gerne zum Dialog bereit.

Auch das französische Außenministerium „rät ausdrücklich von Reisen in die südalgerische Sahara ab“. Trotzdem reisen die Franzosen mit Veranstaltern wieder dorthin. Sind französische Touristen risikobereiter als deutsche?

Französische Touristen haben eine andere Beziehung zu Algerien, ein vertrauteres Verhältnis zu ihrer ehemaligen Kolonie und keine Sprachbarriere. Und die Empfehlungen ihres Außenministeriums scheinen keinen absoluten Status zu haben wie bei uns. Wir haben von Teilnehmern französischer Reisegruppen vor Ort gehört, dass sie diese sehr wohl gelesen haben, sie aber als Meinung des Staates betrachten, nicht wie bei uns quasi als Gesetz.

Die Bundesregierung zahlte angeblich rund 4,5 Millionen Euro Lösegeld für die Freilassung der neun deutschen Saharageiseln. Seitdem fordern Politiker, Medien und die Öffentlichkeit, den Leichtsinn von Abenteuertouristen nicht mehr mit Steuermitteln zu alimentieren. Ist das nicht nachvollziehbar?

Das ist doch eine Stammtischdiskussion und mir einfach zu billig. Wir haben das Recht zu reisen, und solange es keine rechtlich bindende Reisewarnung des Auswärtigen Amts gibt, sehe ich auch die Möglichkeit, nach Algerien zu reisen. Die Experten sind übereinstimmend der Meinung, dass diese Entführungen ein Einzelfall waren.

Heißt das, dass Entführungen in Zukunft also ausgeschlossen sind?

In Algerien muss man natürlich mit normaler Kriminalität rechnen. Es gibt Schmuggler und marodierende Banden, die Überfälle machen. Deshalb braucht man erfahrene Führer, die wissen, welche Routen man besser nicht befährt.

Die algerischen Behörden erteilen Visa an Einzelreisende nur noch dann, wenn sie die Einladung einer algerischen Agentur vorweisen und sich von einheimischen Führern begleiten lassen. Werden davon die Veranstalter profitieren?

Ich sehe vor allem eine Chance für die algerischen Reiseagenturen, die jetzt auch den Selbstfahrern – Selbstorganisierer ist der bessere Begriff – einen kompetenten Service ab der Grenze anbieten können und gleichzeitig deren Sicherheit erhöhen. Das Sicherheitsgefühl, das wir als organisierte Reisegruppe gespürt haben, ist durch unsere Führer, die Tuareg, entstanden und nicht durch GPS und Landkarten. Ich erwarte, dass sich die selbst organisierten Reisenden an die neue Regelungen halten, auch im eigenen Interesse.

Die Leidtragenden der Folgen der Geiselnahme sind aber weder die Selbstfahrer noch die Reiseveranstalter, sondern die Tuareg, die wegen des stark rückläufigen Tourismus kaum mehr Arbeit finden. Wie sehen Ihre Partner in Tamanrasset und Djanet die aktuelle Situation?

Hauser kann sehr wohl ohne Algerien-Reisen leben. Das ist für uns keine Frage der Existenz, sondern der Loyalität unserem Partner gegenüber, der algerischen Reiseagentur. Die Tuareg tragen keine Schuld an der jetzigen Situation. Sie verstehen nicht, warum sie die Suppe auslöffeln müssen, die in ihren Augen politische Gruppierungen mit den Entführungen angerichtet haben. Und sie verstehen auch nicht die Sicherheitshinweise der deutschen und französischen Regierung.

Was macht eigentlich die algerische Tourismuspolitik, um den Wüstentourismus wieder anzukurbeln?

Sehr wenig. Vor den Präsidentschaftswahlen scheinen alle auf Tauchstation gegangen zu sein. Dringend notwendig wäre aber ein klares Statement des algerischen Tourismusministers, noch besser des Präsidenten. Zum einen ein Bedauern, eine Entschuldigung wegen der Entführungen, die Geiseln haben genug erlitten. Zum anderen eine Erklärung wie: „Uns sind Touristen wieder willkommen, und wir tun alles in unser Macht Stehende, um deren Sicherheit auch zu gewährleisten.“ Solche Aussagen vermissen wir schmerzlich.