Seltsam aussichtslos

Es gab Alternativen. Gerhard Seyfried hat sie in seinem Roman über den Herero-Aufstand von 1904 nicht erfasst

Carl Ettmann ist Kartograph. Für die Hauptfigur eines Romans über den Herero-Aufstand in Deutsch-Südwestafrika ist das kein schlechter Beruf, weil sich an ihm eine Beteiligung des Einzelnen an der Kolonialherrschaft besonders schön plausibel machen lässt. Je präziser die Karten, umso genauer und nachweisbarer die Besitzverhältnisse. So einfach ist das. Oder schien es zumindest zu sein, denn die um ihr Land betrogene Herero-Bevölkerung sah das etwas anders und bot den deutschen Truppen vom Ende des Jahres 1903 an militärisch mehrere Monate lang die Stirn. Der Roman Herero folgt Carl Ettmann, den es wirklich gab, auf Schritt und Tritt bei seinen Wegen durch die Kolonie: vom 23. Dezember 1903, dem Tag seiner Ankunft, bis zum 7. Oktober des Folgejahres, als der Aufstand der Herero bereits niedergeschlagen war und abgelöst wurde von einer Erhebung der Nama im Süden des Landes.

Die Idee zu dem Roman kam Gerhard Seyfried, bekannt geworden in den 70ern durch seine Comics über die linksalternative Szene, als er in Namibia, wie das Land längst heißt, für das Goethe-Institut Vorträge über Comics im Sprachunterricht hielt. Es folgten Jahre der Recherche, die Erlebnisse der historisch verbürgten Personen füllte er an mit fiktiven Details, bis ein Roman-Schuh daraus wurde. Sprachlich hat Seyfried das Wörterverzeichnis des Duden von 1903 nicht verlassen, und jeder Satz atmet Gegenwart: Als gäbe es kein Morgen, kein Danach oder keine Perspektive neben der von Ettmann und seinen paar Nebenfiguren, unter ihnen die Fotografin Cecilie Orenstein, hat der Autor seine Sätze im Präsenz gefasst.

Das hat Einiges für sich. Allenthalben brüllt da jemand im preußischen Kasernenhofton, aus solchen Sätzen springen einen die Denkweisen der Kolonisatoren noch genauer an als aus dem restlichen sprachlichen Muff des Textes. Dessen Verfahren: herauszubekommen, welche Diskurse die im Völkermord endende Niederschlagung des Aufstands möglich gemacht haben. Das Handeln der Deutschen bekommt dadurch allerdings etwas Zwangsläufiges, die Sprache, aus der sie scheinbar nicht herauskommen, reicht Seyfrieds Roman als Entschuldigung an sie zurück.

Uwe Timm wagte sich 1978 mit seinem Roman Morenga über den gleichnamigen Anführer des Aufstands der Nama bereits an ein ähnliches Thema. Auch er machte sich die Perspektive eines eher subalternen Deutschen zu Eigen. Doch Timm reicherte die fiktiven Tagebuchaufzeichnungen des Veterinärs der Schutztruppen und späteren Deserteurs Gottschalk mit historischen O-Tönen der verantwortlichen Generäle an, mit Phantastischem und Berichten von überlebenden Aufständischen oder Zitaten von zeitgenössischen Anarchisten, die gegen den Kolonialismus argumentierten. Der historische Befund fällt am Ende dieses Montage-Romans nicht anders aus als in Seyfrieds Herero. Aber zumindest hat Timm deutlich gemacht, dass alles auch hätte ganz anders verlaufen können. Christiane Müller-Lobeck

Gerhard Seyfried: Morenga. Berlin: Eichborn Verlag 2003, 604 S., 29,90 Euro