Der Hüter des öffentlichen Interesses

Ein Gutachten des britischen Generalstaatsanwalts Lord Peter Goldsmith zum Irakkrieg brachte die Wende

Zwei Herzen schlagen in seiner Brust: Offiziell ist Lord Peter Goldsmith der „Hüter des öffentlichen Interesses“. So lautet jedenfalls die Arbeitsplatzbeschreibung des britischen Generalstaatsanwalts. Da er aber vom Premierminister ernannt und in die Regierung aufgenommen wurde, gilt ihm seine Loyalität. So war es Goldsmith’ Aufgabe, die britische Armeeführung von der Legalität eines Angriffs auf den Irak zu überzeugen.

Goldsmith, der vorigen Monat 54 Jahre alt geworden ist, stammt aus Liverpool, wo er auch sein Abitur machte. Danach studierte er Jura in Cambridge, 1972 wurde er zur Advokatur zugelassen. Seit 1987 ist er Staatsanwalt. Bis zu seiner Ernennung zum Generalstaatsanwalt gehörte er verschiedenen internationalen Organisationen an, darunter dem Internationalen juristischen Verband, dem Institut für Menschenrechte sowie dem Amerikanischen Rechtsinstitut. Tony Blair schickte ihn als seinen Vertreter in die Konvention für die Europäische Grundrechtscharta. Die Queen ernannte ihn 1999 auf Blairs Vorschlag zum Lord.

Noch zehn Tage vor der Bombardierung des Irak hatten sich die verantwortlichen britischen Offiziere geweigert, in den Krieg zu ziehen, weil sie befürchteten, dass sie später vor internationalen Gerichten als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Das geht laut Observer von gestern aus Dokumenten hervor, die dem Gericht im Prozess gegen Katherine Gun vorlagen. Die ehemalige Geheimdienstmitarbeiterin, die als Übersetzerin im Lauschzentrum der Regierung in Cheltenham arbeitete, hatte vor einem Jahr eine vertrauliche E-Mail an die Presse lanciert. Darin bat der US-amerikanische Sicherheitsdienst die britische Regierung um Mithilfe bei der Abhörung von UN-Diplomaten. Lord Goldsmith stellte das Verfahren gegen Gun vergangenen Woche ein.

Goldsmith, der auch Chefberater der Regierung in juristischen Fragen ist, hatte Blair Ende Januar 2003 gewarnt, dass ein Krieg gegen den Irak ohne eine zweite UN-Resolution illegal sein könnte. Michael Boyce, der damalige Chef der in Kuwait stationierten britischen Truppen, verlangte jedoch eine unmissverständliche Erklärung, dass ein Angriff auf den Irak nicht internationales Recht verletzen würde. Daraufhin schrieb Goldsmith das Papier für seinen Parteichef geschwind um. Mit der neuen Version war Boyce zufrieden.

Damit die verschiedenen Fassungen seines Papieres sowie seine Kommunikation mit Blair nicht bekannt werden, hat Goldsmith offenbar die Anklage gegen Katharine Gun fallen gelassen, auch wenn er das vehement bestreitet. Schließlich war der Fall juristisch unkompliziert, Gun hatte nie bestritten, die geheime E-Mail an die Presse lanciert zu haben. Die Entscheidung, Gun laufen zu lassen, ist freilich nicht von Goldsmith und wohl auch nicht von Blair allein getroffen worden: Die Londoner Regierung hat mit Sicherheit im Weißen Haus in Washington eine Meinung eingeholt.

Für Blair wird die Luft immer dünner. Die Beweise, dass er und seine Leute die Nation und das Parlament durch die Manipulationen entscheidender Papiere über den Irak hinters Licht geführt haben, werden erdrückender. Die Minister werden sich in dieser Woche im Unterhaus verantworten müssen. Goldsmith muss als Generalstaatsanwalt dagegen nicht Rede und Antwort stehen. RALF SOTSCHECK