„Wir müssen uns an die Realitäten anpassen“, sagt Amir Mohibian

Nach der Niederlage der Reformer wollen die pragmatischen Konservativen im Iran die Reformen fortsetzen

taz: Sind Sie in Siegeslaune? Ihre wichtigen Konkurrenten in der iranischen Politik, die Reformfraktion hat im nächsten Parlament nur noch einen Bruchteil ihrer bisherigen Sitze inne. Demnächst stehen dann auch noch Präsidentenwahlen an und die Reformer könnten ihre letzte Bastion verlieren. Erobern die Konservativen ihr altes Machtmonopol zurück?

Amir Mohibian: Für das Land wäre es besser, wenn die Macht nicht nur in den Händen von einer Gruppe ist. Wenn sich die Reformer neu organisieren, dann könnten sie sich als eine ernsthafte Konkurrenz für die nächsten Präsidentschaftswahlen erweisen, da sie auf dem Reformdiskurs Muhammed Chatamis aufbauen können. Ich glaube aber, dass in der nächsten Phase die Fahne der Freiheit und Reformen in den Händen der moderaten Konservativen gehalten wird. Die Reformer haben einen Fehler gemacht. Sie haben sich wie die Feinde des islamischen Systems benommen. Daher ist das System in Abwehrstellung gegangen. Es traut den Reformern nicht, aber es vertraut uns.

Wo liegt dann genau der Unterschied zwischen Reformern und moderaten Konservativen?

In den Prioritäten. Wenn ein Teil der Bevölkerung wirtschaftliche Probleme hat, kann man nicht mit Slogans von Demokratie ankommen und sagen, das ist genug für euch. Du musst ihre wirtschaftlichen Probleme lösen. Außerdem müssen wir unsere nationale und religiöse Identität bewahren. Das ist die Grundlage. Demokratie als einen Befehl vom Ausland können wir nicht akzeptieren. Wir wollen eine religiöse, keine säkulare Demokratie.

Das klingt sehr theoretisch. Was heißt das konkret?

Es existieren Widersprüche zwischen Idealismus und der Realität. Wir müssen da zu einem Kompromiss kommen. Wenn ein Teil der Bevölkerung beispielsweise sagt, ich mag kein Kopftuch tragen und ein anderer Teil kommt und sagt, selbst das Kopftuch ist nicht genug, sondern der Tschador ist Pflicht, dann solltest der Hedschab, das Kopftuch akzeptiert werden. Ich meine die Minimalversion eines Hedschab, selbst wenn er nur noch an einer kleinen Stelle die Haare bedeckt. Wir wollen islamische Werte fördern, aber nicht unter Druck, sondern aus eigenem Antrieb. Am Ende werden wir Realitäten anerkennen, um unser islamisches System zu sichern.

Können Sie derartiges gegenüber Ihren eigenen Konservativen durchsetzen?

Wir müssen die Radikalen in unseren eigenen Reihen in Schach halten. Der zukünftige Diskurs der Konservativen wird pragmatisch sein und dabei versuchen an einigen Prinzipien festzuhalten. Ich glaube in Zukunft werden wir auch Auseinandersetzungen innerhalb der konservativen Institutionen, wie der Judikative und des Wächterrats erleben. Wir werden versuchen das Reformprogramm Chatamis weiterzuentwickeln und die Spannungen aus dem Verhältnis mit dem Westen zu nehmen. In Zukunft werden wir drei Strömungen im Iran vorfinden. Die jetzt geschlagenen Reformer, radikale und moderate Konservative. Letztere stellen die Mehrheit im neuen Parlament.

Die Hälfte der Bevölkerung ist nicht wählen gegangen. Haben die sich endgültig vom politischen System der Islamischen Republik abgewendet?

Es ist schwer der Mittelklasse ein attraktives Konzept vorzulegen, weil sie ihr Vertrauen in die Politik als Ganzes, ob konservative oder Reformer, verloren hat. Um die Leute wieder zurückzuholen bedarf es Taten nicht Slogans. Wir müssen den Leuten wieder zeigen, dass ihre Probleme durch die Politik zu lösen sind. Unsere Leute denken sehr rational. Sie sehen auf dich und fragen, welchen Nutzen kann ich aus dem ziehen. Ein Ergebnis der Reformbewegung ist es, dass sie den Diskurs über Reformen erweitert hat, aber dann ist nichts passiert. Die Reformer haben die Leute enttäuscht und verloren. Die größte Herausforderung für uns wird es sein, diese wieder einzusammeln.

Wirkt sich die Lage im benachbarten Irak da nicht günstig für den Iran aus? Die Amerikaner brauchen dringend die dortige schiitische Mehrheit, um dort Ruhe zu haben und der Iran kann dabei eine zentrale Rolle spielen.

Die Amerikaner haben Problem im Irak, und sie wissen, dass der Iran einen guten Einfluss auf die dortige Situation ausüben kann. Besonders durch seien spirituellen Einfluss. Wir werden sehen, wie die US-Regierung mit dieser Situation umgeht. Dort existieren zwei Gruppen: die neokonservativen Ideologen und die Realisten.

Welches Szenario wäre für die Zukunft wahrscheinlicher: Die neokonservativen US-Ideologen gegen radikale iranische Mullahs? Oder werden sich die US-Realisten mit iranischen pragmatischen Konservativen auseinandersetzen?

Ich glaube Zweiteres ist wahrscheinlicher. Wenn sich die Radikalen sich auf beiden Seiten begegnen, haben wir ein großes Problem. Wenn aber auf beiden Seiten die Pragmatiker am Werk sind, werden sich die Türen für schrittweise Verhandlungen öffnen. Das wäre der erste Schritt. Als zweiter müssten dann offizielle Beziehungen aufgenommen werden, aber möglicherweise noch sehr abgekühlt. Erst als dritten Schritt können wir gute Beziehungen und Kooperation pflegen. Wir befinden uns in der ersten Phase der Verhandlungen. Der zweite Schritt ist jetzt möglich, wenn auf beiden Seiten Pragmatiker verhandeln.

INTERVIEW: KARIM EL-GAWAHRY