Konsum und Rache sind eins

„,Bringt sie um, soll Gott sie doch richten‘ (George W. Bush)“: Die Hamburger Formation Weisser Rausch präsentiert Wolfgang Knuths Kammeroper über die Todesstrafe auf Kampnagel

von PETRA SCHELLEN

Sein Trumpf ist die Beiläufigkeit: Da konsumiert man stillvergnügt sein Pflaumenmus, und im Nebenraum steht der elektrische Stuhl. Auf dem man selbst nicht sitzen wird, wohl aber ein anderer, den es danach eben nicht mehr gibt. Doch das hat man, kauend, kaum bemerkt: Holger Müller-Brandes, Regisseur und Librettoschreiber von Wolfgang Knuths Kammeroper „Bringt sie um, soll Gott sie doch richten“ (George W. Bush), bezeichnet seine Texte als „gemäßigt agitatorisch“, will aber keinesfalls platt pädagogisch sein.

Als Collage aus Zitaten von Todesstrafe-Befürwortern und Beschreibungen der Tötungsmaschinerie hat er das Auftragswerk für das Musik-Theaterensemble Weisser Rausch konzipiert, das jetzt auf Kampnagel uraufgeführt wird. Grund für Knuths Themenwahl war die massive Pro-Todesstrafe-Wahlkampagne des inzwischen amtierenden US-Präsdenten George W. Bush. „Ich möchte dem Zuschauer nicht das übliche Opern-Gefühl geben, dass ihm irgendetwas untergejubelt wird, sondern er soll dem Geschehen sozusagen allein gegenüberstehen und Verantwortung spüren“, sagt Müller-Brandes.

Deshalb zielt das Stück auch nicht auf Mitleid, sondern fokussiert gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge, ohne dass es deshalb bleischwer würde: „Sowohl musikalisch als auch dramaturgisch wird das Thema leichtfüßig umspielt: Es gibt viele heitere Szenen, die knallig buntes Leben und unbefangene Konsumfreude zeigen. Der elektrische Stuhl ist auch da und rückt, begleitet von entsprechenden Texten, langsam in den Mittelpunkt.“ Konstruiert frei nach dem Prinzip der Zentralperspektive, die auf einen Fluchtpunkt zuläuft – nur dass dieser eben Sackgasse ist: „Du musst nur die Laufrichtung ändern“, sagte schon Kafkas Katze zur verzweifelten Maus, bevor sie sie fraß. Ein geschicktes Spiel mit Gegenständen inszenieren Regie und Bühnenbild hier – und einen Appell an Detektiv-Instinkte, ist der Betrachter doch gefordert, im verdächtig bunten Suchbild nach Insignien des Todes zu fahnden, lange bevor die Regie es tut.

Und natürlich, der Plot bezieht sich in erster Linie auf die USA; die Frage, ob er Bush eher als Pionier oder als Dinosaurier betrachte, beantwortet Müller-Brandes lieber nicht. „Aber klar ist, dass Demokratien im permanenten Ausnahmezustand durchaus in einen menschenrechtswidrigen Zustand umkippen können, in dem Selbstgerechtigkeit regiert.“ Krasses Beispiel hierfür sind die ins Libretto geflochtenen Pro-Todesstrafe-Statements US-amerikanischer christlicher Gruppen. „Das sind radikale Aussagen, die die öffentliche Meinung prägen – in einer Form, die in Deutschland zum Glück derzeit nicht üblich ist. Denn noch tätigt auch die Bild keine Umfragen bezüglich der Todesstrafe.“

Doch angesichts der vielen deutsch-amerikanischen Verklebungen findet Müller-Brandes dies durchaus auch hierzulande bedenkenswert, „zumal die – ausschließlich Arme und Schwarze treffende – Todesstrafe zeigt, wie im Kapitalismus der Mensch zur Materie degradiert wird“. Womit er nicht sagen will, dass der real praktizierte Sozialismus eine echte Alternative wäre oder dass er einen schnell zu zaubernden dritten Weg wüsste. „Aber den Blick auf den gesellschaftspolitischen Zusammenhang zu lenken halte ich schon für wichtig, und hierfür ist das Medium Oper – Musik wirkt immer direkter emotional als Text – gut geeignet. Denn entscheidend ist doch der Moment, in dem nicht mehr zu befriedigende Komsumgier in voyeuristische Lust auf Rache umschlägt – der letzte Kick unserer Gesellschaft.“

Natürlich ist das alles nicht neu. Vielleicht aber kann die Form – eine Mixtur aus Musik, durchschredderten Kompositionspartikeln und gesprochenen Passagen – spürbar machen, wie anfällig jeder Einzelne ist für Varianten von Selbstgerechtigkeit und die klandestine Lust auf Lynchjustiz.

Premiere: morgen, 20 Uhr, Kampnagel (k2)