Aristide: Lieber Flucht als Tod

Der Staatspräsident weicht dem Druck der Rebellen und des Auslands. Banden und Plünderer ziehen durch Haitis Hauptstadt Port-au-Prince

AUS SANTO DOMINGO HANS ULRICH DILLMANN

Der haitianische Staatspräsident Jean-Bertrand Aristide ist von seinem Amt zurückgetreten. Er beugte sich damit nach dreiwöchigen Unruhen dem Druck der Rebellen und der Auslands. Zunächst die frühere Kolonialmacht Frankreich und dann auch die Hegemonialmacht USA hatten Aristide in öffentlichen Erklärungen bereits abgeschrieben.

Der 50-Jährige verließ nach Informationen enger Mitarbeiter am Sonntagmorgen seinen Regierungspalast und ließ sich in die Dominikanische Republik ausfliegen. Interimspräsident soll der Vorsitzende Richter des Obersten Gerichtshof, Boniface Alexandre, werden. Eine solche Regelung sieht auch die haitianische Verfassung vor. In der Umgebung des Präsidentenpalastes kam es nach Berichten des englischsprachigen Nachrichtensenders CNN am Vormittag zu heftigen Schusswechseln. Gebäude in der Nähe des Palastes waren in Brand gesteckt worden.

Aristide hatte bereits in den frühen Morgenstunden des Sonntags – um 6.45 Uhr nach Angaben eines Augenzeugen – an Bord eines Kleinflugzeuges, dem zwei weitere folgten, Port-au-Prince verlassen. Nach Informationen eines Mitglieds der dominikanischen Regierung hatte der Chef der Präsidentengarde kurz zuvor eine telefonische Bitte erhalten, den dominikanischen Flughafen Barahona, knapp siebzig Kilometer von der haitianischen Grenze entfernt, für eine „technische Zwischenlandung“ eines haitianischen Regierungsflugzeuges nutzen zu dürfen. Dem habe die dominikanische Regierung stattgegeben.

Der Abdankung des Expriesters war ein zügiger Rebellenvormarsch Richtung Hauptstadt vorangegangen. Seit Tagen war die 2,5-Millionen-Metropole Port-au-Prince praktisch abgeriegelt. Fünf der neun Departements des Landes befanden sich schon unter der Kontrolle der Aufständischen.

Am Wochenende hatten Anhänger der Regierungspartei „Lavalas“ begonnen, sowohl in den Außenbezirken der Stadt, als auch im Zentrum Barrikaden zu errichten. Durch die Straßen patrouillierten bewaffnete „Schimären“, Aristide-treue Militante. In der Stadt herrschten chaotische Zustände. Bewaffnete fuhren auf überfüllten Pick-ups durch die Straßen. Menschen hasteten durch die Straßen und schleppten aus den Lagern der Hafengegend ab, was nicht niet- und nagelfest war. Lebensmitteldepots wurden ebenso geplündert, wie aus Geschäften Elektrogeräte und Waren des alltäglichen Lebensbedarfs mitgenommen wurden.

Brennende Barrikaden machten im Zentrum das Durchkommen fast unmöglich. Der normale Straßenverkehr war fast gänzlich zum Erliegen gekommen. Die bunt bemalten Tap-Tap-Bussen waren beinahe vollständig aus dem Straßenbild verschwunden. An Straßensperren verlangten Militante von den passierenden Fahrzeugen Wegezoll. Teilweise kam es zu Übergriffen, gegen Insassen, wenn diese sich weigerten, zu zahlen. In einigen Stadtvierteln lagen Leichen auf der Straße. Manchen waren die Hände mit Plastikfesseln zusammengebunden worden, und sie und wiesen Kopfschüsse auf. Die Bessergestellten und Reichen, die auf den Anhöhen von Port-au-Prince leben, hatten sich in ihren Häusern verbarrikadiert, sofern sie nicht bereits in den Tagen zuvor ins Ausland abgesetzt hatten. Allerdings ist der Flugverkehr vom internationale Flughafen des Landes bereits seit Donnerstag eingestellt. Nur noch Sondermaschinen, in denen unter anderem auch die Bundesrepublik Deutschland Bundesbürger ausflog, landeten dort in den letzten zwei Tagen. Vom einzigen Hubschrauberlandeplatz, über den die Botschaft der Dominikanischen Republik verfügt, starteten im Minutentakt Maschinen, um Ausländer in die Nachbarrepublik auszufliegen. Sie seien als „Weiße“ bedroht worden, berichteten zwei französische Nonnen nachdem sie in der Dominikanischen Republik angekommen waren.

In der letzten Woche hatte die internationale Gemeinschaft Aristide die sowieso schon geringe Unterstützung endgültig entzogen, nachdem die Opposition um die „Demokratische Platformt“ einen Vermittlungsplan abgelehnt und kompromisslos Aristides sofortigen Rücktritt gefordert hatte. Aristide selbst hatte sich bereit erklärt, seine Regierungsmacht mit Oppositionsvertretern zu teilen. Im Gegenzug wollten die in der „Gruppe der Freunde Haitis“ zusammengeschlossen Ländern, unter anderem Kanada, die USA, Frankreich, seines verfassungsmäßiges Verbleiben im Amt bis 7. Februar 2006 garantieren.

Am Freitag hatten dann sowohl Frankreich als auch der amerikanische Außenminister Colin Powell Aristide aufgefordert, sein Amt niederzulegen und einer politischen Lösung den Weg zu eröffnen. Wiederholt hatte der ehemaligen Salesianer-Priester öffentlich versichert, er werde lieber sterben, als freiwillig seinen Posten zu räumen. Er hat sich eines Besseren besonnen.