Die neue Gangart des Senators

Der Ausgang des von der Bremer Innenbehörde angeforderten Gutachtens über die Reisefähigkeit des togoischen Flüchtlings John Agbolete überrascht niemanden – wohl aber dessen zweifelhafte Qualität

Bremen taz ■ Fünf Wochen, nachdem der Innensenator ein umstrittenes Reisefähigkeitsgutachten über den Gesundheitszustand des Togoers John Agbolete von einem privaten Gutachter angefordert hatte, liegt dessen Ergebnis nun vor. Nicht überraschend bescheinigt es: „Weder der körperliche Zustand (...), noch das Ergebnis der eingehenden psychischen Untersuchung rechtfertigt, seine Reisefähigkeit in Frage zu stellen.“

Die Ausländerbehörde betreibe nun die Abschiebung seines Mandanten, bestätigt Rechtsanwalt Günter Werner. Er hat dagegen Antrag auf einstweilige Anordnung beim Bremer Verwaltungsgericht gestellt. Dieses soll der Behörde untersagen, den knapp 40-jährigen Togoer vor Ablauf von drei Monaten abzuschieben. Werners Begründung ist der nach wie vor schlechte Gesundheitszustand des in Togo gefolterten Regimekritikers Agbolete. Daran ändere auch das jetzt vorgelegte Gutachten nichts, das „alle Merkmale eines typischen ‚Parteigutachtens‘“ enthalte, „bei dem das Endergebnis mehr oder weniger vorgegeben war“, so der Anwalt.

Zur Erinnerung: Der Bremer Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) hatte – nach seiner Ankündigung, bei Abschiebungen härter durchzugreifen – die neue Gangart offenbar ausgerechnet am Fall des togoischen Flüchtlings John Agbolete demonstrieren wollen. Während Ärzte und Gesundheitsressort Unmut bekundeten, weil das Innenressort das mit Ärztekammer und Gesundheitsbehörde abgestimmte bisherige Verfahren einseitig aushebelte und statt das Gesundheitsamt einzuschalten selbst einen Gutachter bestellte und bezahlte, reagierten Vertreter der evangelischen Kirche in Bremen entsetzt. Sie hatten sich schon während des Asylverfahrens für Agbolete stark gemacht und ihm Kirchenasyl gewährt, weil sie nach direkten Kontakten mit Vertretern des togoischen Regimes von Agboletes Gefährdung überzeugt sind. Doch blieb dem Flüchtling nach einer ersten gerichtlichen Asylablehnung aus Verfahrensgründen nur, dass er seiner freiwilligen Ausreise zustimmte – um sich durch eine offizielle Abschiebung nicht noch mehr zu gefährden.

Der Zeitpunkt dieser Abschiebung verzögert sich nun weiter aus Krankheitsgründen –und daran hat sich auch mit dem Bestellgutachten nichts geändert, so Agboletes Anwalt. Völlig unklar sei ja, warum das von der Ausländerbehörde in Auftrag gegebene „Parteigutachten“ größeres Gewicht haben sollte als das des behandelnden Facharztes des Flüchtlings. Der niedergelassene Psychiater hatte unter anderem posttraumatische Belastungsstörungen diagnostiziert. Diese Grundsatzfrage will Werner geklärt sehen – und er rechnet dabei mit der Unterstützung des Gerichts. Auch Richtern nämlich leuchte nicht ein, warum die qualifizierten Amtsärzte des Gesundheitsamtes umgangen wurden, so Werner.

Zugleich ist der Anwalt, der schon viele Togoer vor Gericht vertreten hat, über die Qualität des vorgelegten Gutachtens entsetzt. Es enthalte angebliche Äußerungen seines Mandanten, die dieser so nie gemacht habe. Etwa eine Beschwerde, dass er sich nicht frei bewegen und so keine Frau zwecks Heirat finden könne. Dies sei eine völlig abwegige Darstellung – und das nicht nur, weil die Heiratspläne mit der deutschen Partnerin, einer Medizinerin, bekannt seien.

Auch kritisiert Werner, dass der Psychiater – im Ruhestand, aber auf der Liste des Sozialgerichts als Gutachter geführt – sich „Schlussfolgerungen erlaubt, die außerhalb seines Tätigkeitsbereiches liegen“. Etwa wenn der Gutachter schreibt, der Flüchtling habe „Übertreibungen erheblichen Ausmaßes“ gemacht, als er berichtete „dass die Polizei in Togo Injektionen verabreiche, die erst nach Monaten zum Tode führen“, und dann folgert: „Auch ohne Wertung politischer Gegebenheiten, die außerhalb der Fragestellung und Aussagemöglichkeiten des Gutachtens liegen, sind solche Äußerungen allein schon vom medizinischen Standpunkt aus nie zu akzeptieren.“

Diese Einschätzung des Arztes sei umso fragwürdiger, als er in einem Telefonat mit dem Anwalt zu erkennen gegeben habe, „dass ihm die Verhältnisse in Togo weitestgehend unbekannt sind“, so Werner. Besser hätte der Arzt sich aufs Psychiatrische beschränkt – und etwa die Suizidgefahr des Mandanten eindeutig eingeschätzt. Doch da legte der Psychiater sich lieber nicht fest – auch mit Hinweis auf den „fremden Kulturkreis“. Vorfälle und Lücken in einem kuriosen Verfahren, mit dem sich jetzt das Verwaltungsgericht befasst.Eva Rhode