Mit 300 Kilowatt

Eine Reichweite von wenigen Kilometern und eine Zielgruppe von 50 Haushalten: Radio von Frauen für Frauen ist in Kabul ein exotisches Projekt

VON MARTIN GERNER

Jamila Mujaheed sieht müde aus. Dabei fängt der Tag gerade erst an in Kabul. Ihre tiefen Augenringe passen nicht so recht zu dem glatten, rot gefärbten Haar. Sie trägt einen Pagenschnitt, so wie man ihn aus Jeanne-d’Arc-Filmen kennt. Auch Afghanistan hat seine Jeanne d’Arc. Malalai heißt sie. Im Befreiungskrieg gegen die Engländer trug sie im 19. Jahrhundert die von den Briten verbotene afghanische Fahne voran.

Vor zwei Jahren hat Jamila Mujaheed eine Frauen-Zeitschrift mit Namen Malalai herausge- bracht. Letztes Jahr gründete sie das erste Frauen-Radio Afghanis- tans: „Voice of Afghan Women“. Eine richtige Stimme hat der Sender bis heute nicht: „Wir senden für 50 Familien in Kabul“, sagt Mariam, eine der sechs Journalistinnen, lakonisch. 300 Kilowatt Sendeleistung, die gerade für einem Senderadius von ein paar Kilometern reicht.

Mit dem Finger deutet Jamila Mujaheed auf den hohen Berg im Zentrum Kabuls, im Volksmund „TV-Mountain“ genannt. Hier stehen Sendemasten des afghanischen Fernsehens. „Wenn unsere neue Antenne auch da oben steht, können wir endlich alle Frauen in Kabul erreichen“, sagt sie.

Der neue Sendemast ist unterwegs. Eingepackt in Brüssel, gesponsert mit Entwicklungsgeldern. Aber da ist das nächste Problem: Es fehlen Techniker, um ihn auf dem TV-Mountain zu installieren. Auch dafür muss ein Geldgeber gefunden werden, und das geht in Kabul nur, wenn man einen offiziellen Antrag für Hilfsgelder stellt. Der aber muss in der Regel in Englisch verfasst sein, und Englisch spricht keine bei Voice of Afghan Women, auch Jamila Mujaheed nicht.

Im Dezember vor zwei Jahren verkündete sie aus dem zerbombten Kabul über ein kleines Mikrofon in einem düsteren Studio des afghanischen Rundfunks das Ende des Taliban-Regimes. Den Raum für Voice of Afghan Women, gerade mal 20 Quadratmeter groß, stellt die französische Medien-NGO Aina.

Wenn man hier an die Tür klopft, vergeht erst eine Kunstpause, damit die Frauen drinnen ihre Kopfbedeckung aufsetzen können. Bei einigen ist sie eher Alibi, so oft rutscht der Stofffetzen von dem nach hinten gebundenen Haarknoten herunter. Im Studio sieht es aus wie im Zimmer einer Jugendherberge. Drei Journalistinnen hocken in einer Ecke des Raums am Boden und trinken Tee, Turpikai verrichtet ihr Nachmittagsgebet, steht und kniet dazu abwechselnd auf ihrem kleinen Teppich. Der Sohn von Mariam zappelt auf einem Stuhl und soll Hausaufgaben machen. Und mitten drin wird gesendet: mit einem verstaubten Tape-Deck und einem Kassetten-Rekorder Modell 70er-Jahre.

„Die zwei Mini-Disc-Geräte, die uns die Unesco gezahlt hat, sind kaputt. Unser Gehalt für den Monat Januar haben wir auch nicht bekommen“, klagt Azima, die Redaktionsleiterin. Vier Stunden sendet Voice of Afghan Women täglich. Musik, Gedichte, Nachrichten, meist direkt aus der Zeitung abgelesen, und Reportagen. Zum Beispiel: In Afghanistan müssen viele Frauen die Schule verlassen, sobald sie heiraten. Angeblich sollen unverheiratete Frauen damit vor sexuellen Schilderungen der frisch Verheirateten bewahrt werden. An heikle Themen, wie etwa die Vergewaltigung in der Ehe, kann Voice of Afghan Women sich noch nicht wagen, hier ist der gesellschaftliche Gegendruck zu stark.

Kurz vor sechs Uhr kommt ein dicklicher bärtiger Mann mit Kopfbedeckung ins Studio. Es ist der Fahrer, der die sechs Journalistinnen nach Hause bringt. „Bis vor einem halben Jahr mussten wir mit dem Bus nach Hause fahren“, sagt Turpikai. Erst seitdem wir einen Fahrer haben, traue ich mich, ohne Burka zur Arbeit und zurückzufahren.“