Außer Konkurrenz

Das missglückte Preissystem ist nicht das Hauptproblem der Deutschen Bahn: Sie muss als Konzern zerschlagen werden – und sie braucht dringend mehr Wettbewerb

Ein Börsengang des DB-Konzerns inklusive Netz ist in dieser Situation nicht visionär, sondern naiv

Bahnchef Hartmut Mehdorn hat derzeit nichts zu lachen: Expertenrunden nehmen das Preissystem der Bahn auseinander. Die kleine Lokführergewerkschaft will streiken und könnte mit wenig Aufwand fast den gesamten Bahnverkehr lahm legen. Große, aber dennoch Routineprobleme – den Bahnchef erwarten viel tiefer Greifendere. Der Republik geht das Geld aus. Der Bund könnte sich deshalb auf eine konsequentere Bahnpolitik besinnen, die sehr viel stärker auf Wettbewerb setzt. Das könnte Hartmut Mehdorn überfordern.

Schon Exverkehrsminister Kurt Bodewig wusste: Nur wenn das Netz der Bahn von den ebenfalls in ihrem Besitz befindlichen Transportunternehmen getrennt wird, werden Wettbewerber in großem Ausmaß auf die Schiene drängen. Ihre marktgerechteren Angebote lassen den Schienenverkehr schnell wachsen, und die staatlichen Zuschüsse könnten zurückgefahren werden. Doch Bodewigs Reformvorhaben scheiterte an Hartmut Mehdorn. Das Netz müsse im Konzern verbleiben, behauptet der Bahnchef, um das System „Eisenbahn“ zu optimieren und gegenüber dem wahren Wettbewerber, dem Straßenverkehr, richtig in Stellung zu bringen. Die Wahrheit: Der Bahnchef braucht das Netz als Hebel, um nur so viel Wettbewerb zuzulassen, wie seine kaum marktfähigen Transporttöchter DB Cargo, DB Regio und DB Reise & Touristik, verkraften können. Als „Wettbewerbsfetischisten“ und „Eisenbahnfeinde“ beschimpft Mehdorn wenig zimperlich seine Kritiker und bescheinigt ihnen regelmäßig, keine Ahnung von der Bahn zu haben. Starke Worte von einem, der gerade mal sein drittes Lehrjahr in dieser Branche hinter sich gebracht hat und dessen neu rekrutiertes Führungspersonal in der Branche manchmal mit „Jugend forscht“ qualifiziert wird.

Mit dem Kanzler im Rücken entsorgt Mehdorn jeden, der sich ihm in den Weg stellt. Höhepunkt war der Abgang von Aufsichtsratschef Dieter Vogel. Mit Kanzlers Hilfe drängte sich der Bahnchef sogar in die ordnungspolitische Arbeitsgruppe (die so genannte Taske Force) des Bundesverkehrsministers. Dort drückte er durch, dass seinem Unternehmen herber Wettbewerb erspart bleibt. Rund elf Milliarden Euro leisten wir uns aus Steuermitteln, um das System Bahn am Leben zu halten. Am stärksten schlagen die Regionalisierungsmittel zu Buche, mit denen die Länder Nahverkehrszüge bestellen, deren Kosten nur zu etwa 30 Prozent durch Fahrgeldeinnahmen gedeckt werden. An zweiter Stelle rangieren die Investitionen in das Schienennetz. Die Effizienz des Geldeinsatzes bleibt dürftig. Nach neuester Prognose der Bundesregierung stagnieren der Personenfern- und Güterverkehr. Nur der Personennahverkehr hat seit 1994 um ein Viertel zugelegt.

Die für diese Sparte zuständige DB Regio ist durch die Bahnreform zur Cash Cow des DB-Konzerns geworden. Die Länder reichen noch immer die Regionalisierungsmittel weit überwiegend ohne Ausschreibung an DB-Regio durch. Ausgeschrieben werden zumeist Strecken, die wenig profitabel sind. Da dürfen dann die Newcomer mitbieten. Die DB Regio ist so ergiebig, dass dem Nahverkehr fast zwei Drittel der Netzkosten angelastet werden können. Das übrige Drittel teilen sich Personenfernverkehr und Güterverkehr. Der ICE-Verkehr, größter Kostentreiber des Netzes, zahlt Trassenpreise, die nur als symbolisch zu bezeichnen sind, andernfalls wäre er pleite. Bei Trennung von Netz und Transport wäre Schluss mit der Quersubvention des ICE durch den Nahverkehr.

Wo Wettbewerb ausgebrochen ist, sind die Preise gefallen – bei besseren Leistungen. Aber der Marktanteil der Newcomer blieb bislang dürftig, nämlich unter fünf Prozent, gemessen an Personen- und Tonnenkilometern. Warum? Der DB-Konzern darf als Herr des Netzes nicht Schiedsrichter darüber sein, wer zu welchen Bedingungen auf das Netz darf, wenn er zugleich als Spieler auf dem Netz agiert. Denn dann besteht ein Interesse, dass der Schiedsrichter (die DB Netz) die Transportschwestern des Konzerns begünstigt und damit Newcomer diskriminiert. Beispiel: Als die Bahn die Hochgeschwindigkeitstrasse Köln–Frankfurt in Betrieb nahm, wollte Connex auf der Altstrecke Duisburg–Köln–Koblenz–Mainz–Heidelberg in den Wettbewerb mit der DB eintreten. Ergebnis: DB Netz bot Connex Trassen an, die fünf bis sechs Stunden Fahrzeit bedeuteten. Bisherige Fahrzeiten des DB-Interregio: vier Stunden.

Die Regierungskommission Bahn konnte sich nicht einmal vorstellen, dass Newcomer nennenswert in den Schienenverkehr investieren würden, solange nicht die völlige Wettbewerbsneutralität des Netzes signalisiert würde. Die Kommission hat Recht behalten: Auf deutschem Netz tummeln sich zwar viele kleine Wettbewerbsfische, aber keine ernsthaften Konkurrenten der DB-Transporttöchter. Einige Newcomer der ersten Stunde resignieren bereits. Britische Eisenbahnen sind gar nicht erst angetreten. Ihnen ist der unfaire deutsche Wettbewerbsrahmen zu riskant für Investitionen. In den USA wäre ein Konstrukt wie der DB-Konzern längst zerschlagen worden. Sofern Interesse an der Diskriminierung bestünde, würde das Konstrukt quasi als wirtschaftskriminell eingestuft und verboten werden.

Wenn die Bundesregierung ernsthaft mit Wettbewerb einen Innovations- und Kostensenkungswettlauf auf der Schiene auslösen will, dann müsste sie dem DB-Konzernchef folgenden Unternehmensauftrag erteilen: Bis zum Jahre 200x hat er den Konzern auf den Infrastrukturkern zu reduzieren und die Transporttöchter zu sanieren, auszulagern und zu verkaufen. Eines Gesetzes bedarf dieser Akt nicht.

Ein Börsengang des DB-Konzerns inklusive Netz ist in dieser Situation nicht visionär, sondern naiv. Da das Schienenwegenetz gemäß Grundgesetz mehrheitlich im Eigentum des Bundes bleiben muss, dürften vom Konzern inklusive Netz ohnehin nur maximal 49 Prozent der Aktien an der Börse platziert werden. Der DB-Konzern überlebt zurzeit nur deswegen, weil der Bund jährlich aus Steuermitteln rund fünf Milliarden Euro in die Infrastruktur investiert und die Länder etwa weitere sechs Milliarden Euro für den Nahverkehr der Bahn ausgeben. Der überwiegende Teil der Regionalisierungsmittel, die an DB Regio fließen, fußt auf Verträgen, die nach EU-Recht künftig keinen Bestand haben. Werden die lukrativen Strecken im Nahverkehr ausgeschrieben, dann wird die Cash Cow des Konzerns, die DB Regio, keine Milch mehr geben. Der Konzern wäre am Ende.

Mehdorns Führungspersonal wird in der Branche als „Jugend forscht“qualifiziert

Für den Kanzler könnte es unbequem werden, wenn er auf die Frage antworten müsste, wie er sich den Prospekt für den Börsengang des DB-Konzerns vorstellt, denn den verantwortet der Eigner, der Bund, und nicht der Bahnchef. Er wird in dem Prospekt mit dem Slogan werben müssen: Minderheitsbeteiligung an Bundesunternehmen gesucht, das am Tropf des Bundes hängt und von wettbewerbsrechtlich zweifelhaften Verträgen mit den Ländern abhängt.

GOTTFRIED ILGMANN