zugeschaut
: Leise Aphorismen, nackte Tatsachen

„Was einst war, das stimmt uns meistens lyrisch – doch das was ist, zum großen Teil satirisch.“ Dass Kölner Kabarettisten Mascha Kalékos Vers als Leitzitat auswählen, hätte ihr wohl gefallen. „Kleine & Linzenich“ haben sich der kabarettistischen Lebensanalyse verschrieben. Im 15. Programm, das jetzt im Senftöpfchen Premiere hatte, enthüllen Nikolaus Kleine und Ferdinand Linzenich „Nackte Tatsachen“ über Liebe, Ehe und Karneval.

Wer niveaulose Doppelbödigkeit eines klamaukenden Zeitgeistes vermutet, liegt falsch – weitgehend. Denn das ungleiche Paar hat sich nach seinem eher dünnen vorigen Programm seiner literarischen Wurzeln besonnen. In ihrer gelungenen Analyse ist es vor allem die große Kunst der Ruhe, die im Gegensatz zum proletarischen Gelalle über „Ständer“, „Sex“ und „Saufen“ ein starkes Niveau garantiert. Deshalb ein Lob für Texter Thomas Brückner: So gewitzt und durchdacht sind Kabaretttexte heute selten.

Während Kleine wie immer den weichen, intellektuellen Schwulen markiert, ballert Linzenich als großkotziger Macho gegen Emmaisierung und Feminisierung. Allerdings gelingt die karikierende Darstellung dieser aktuellen Konfliktkombination dann nicht, wenn er zu weit unter die Gürtellinie rutscht. Wunderbar sind aber seine Aphorismen über das Leben, die oft so leise sind, dass sie gerade im Getöse anderer Nummern ihre Strahlkraft potenzieren.

Großartig ist auch die bös-bittere Abfertigung rheinischen Pseudo-Frohsinns, wenn Linzenich als saufender Narrenheinz zu Trinktipps über die Bühne schwankt. Oder wenn Kleine die Kölner und Köln – „das Biotop der Talentlosen“ – satirisch vorführt: Was soll man auch von einem Völkchen halten, dass 600 Jahre für ein Gebäude braucht und das dann noch nicht mal verklinkert ist.

Über die Boshaftigkeit war das Premierepublikum so verstört, dass selbst die wenigen Klatscher bald verstummten. Verstörung aber ist etwas, was Kabarett als Kunstform leisten muss und soll. „Kleine & Linzenich“ gelingt das in den schönsten, kleinen, fast unmerklichen Momenten, die dann lyrisch und satirisch zugleich – kurzum: wie das Leben sind. Ingo Petz

„Nackte Tatsachen“ mit „Kleine & Linzenich“: bis 14. März, jeweils 20.15 Uhr, Senftöpfchen, Große Neugasse 2-4