Die Uni hat er nie gemocht

Der rot-rote Senat will im nächsten Jahr von Langzeitstudenten 500 Euro pro Semester kassieren. Die Betroffenen an den Unis versetzt das in Panik – jedenfalls die, die schon davon gehört haben

VON WIBKE BERGEMANN

Stefan weiß nicht einmal, in welchem Semester er jetzt studiert. Der Jurastudent an der Humboldt-Universität wühlt in seinen Taschen nach dem Studentenausweis. Dort steht die Zahl 12: „Ich dachte, ich wäre schon im 13.“, sagt Stefan überrascht. „Ich bin ja eh schon längst über die Regelstudienzeit hinaus. Irgendwann zählt man nicht mehr.“

Es wird knapp für Stefan. Ganz zufällig, in der U-Bahn, hat er gelesen, dass der Berliner Senat im nächsten Jahr Studiengebühren von 500 Euro für alle Langzeitstudierenden ab dem 15. Semester einführen will. Jetzt ist er auf dem Weg zum Immatrikulationsbüro, um ein Urlaubssemester anzumelden. Das bringt ihm einen Zeitgewinn von sechs Monaten. Stefan braucht nur noch einen Schein bis zum Staatsexamen, doch im kommenden Semester wird kein Seminar angeboten, das ihn interessiert. „Eine Seminararbeit zu schreiben, deren Thema mich nicht interessiert, das klappt eh nicht“, sagt er. Die Uni hat Stefan nie gemocht: „Da stehen gelangweilte Professoren und lesen aus 20 Jahre alten Lehrbüchern vor.“ Fast hätte er alles hingeschmissen. Dann sei auch noch seine Mutter krank geworden, seitdem pflege er sie und mache die Behördengänge. So zog sich sein Studium in die Länge. Die 500 Euro Studiengebühr wird er wohl aus Erspartem finanzieren. Mit seinem Job als Kassierer bei Kaiser’s konnte er etwas Geld zurücklegen.

An der Humboldt-Uni herrscht Aufbruchstimmung. Die Semesterferien haben angefangen, durch die Flure laufen Studierende mit Koffern und Taschen. Studiengebühren? Betrifft mich nicht. Langzeitstudierende? Die laufen hier nicht rum, sondern sitzen zu Hause und haben Kinder, meint eine Frau. „Ab dem wievielten Semester werden die 500 Euro fällig?“, fragt eine andere und überlegt: „Dann sollte ich lieber rechtzeitig ein Teilzeitstudium beantragen.“ Oder sich schon mal in Potsdam umsehen, meint ein Student.

Die Diskussion um lange Studienzeiten zeigt ihre Wirkung. Ein Langzeitstudierender will hier keiner sein. Auch die nicht, die schon mehr als 10 Semester dabei sind. Eine Studentin bleibt lieber anonym: „Nenn mich Marita.“ Die 26-Jährige studiert Klassische Archäologie. Das große Latinum und das Graecum sind Pflicht. Daher dauert das Studium normalerweise 13 bis 14 Semester. Und damit liege die Humboldt-Uni noch unter dem bundesdeutschen Schnitt, meint Marita. Momentan hat sie eine Stelle als Hilfswissenschaftlerin. Um die 500 Euro aufzubringen, wird Marita gezwungen sein, noch mehr nebenbei zu arbeiten. Dadurch wird sich ihr Magister weiter verschieben. „Das ist doch das Gegenteil des gewünschten Effekts“, sagt sie empört.

Im Referent(inn)enrat der Studierenden klingelt das Telefon. „Die Leute rufen hier an und sind in Panik“, sagt Franziska. „Ich versuche, sie erst mal zu beruhigen. Schließlich ist noch nichts endgültig entschieden.“ Die PDS will sich erst auf ihrem Landesparteitag am 4. April endgültig entscheiden. Eine Mehrheit könnte das Studienkontenmodell für Berlin wieder kippen.

Rund 20.000 Studierende werden nach Schätzungen des Senats von den 500-Euro-Gebühren in der Übergangsphase betroffen sein. Denn Gründe für ein langes Studium gibt es viele: 68 Prozent der Berliner Studierenden müssen laut der 16. Sozialerhebung des Studentenwerks arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Immerhin 8 Prozent haben Kinder.

Auf hohe Semesterzahlen kommen auch die Studenten, die während des Studiums das Studienfach wechseln, so wie Raiko. Der 29-Jährige ist im 17. Semester. Angefangen hat er mit Erziehungswissenschaften. Die ersten drei Jahre habe er nur den Studentenstatus genutzt, um günstig zu jobben, gibt Raiko zu. „Erst mit dem Wechsel zu Sozialwissenschaften fing ich richtig an zu studieren.“ Raiko ist nicht gegen Studiengebühren, wenn sich dadurch das Studium verbessern würde. Doch die 500 Euro hält er für eine „ganz klare Vertreibungsaktion“.