Student mit Doppelleben

Uwe Hardter ist 27 Jahre alt und Pharmaziestudent an der Uni Freiburg. Er ist aber auch als Radprofi für das Team Gerolsteiner unterwegs, zum Beispiel ab heute bei der Murcia-Rundfahrt

VON VOLKER BOCH

Studentenzeiten sind meist jene Zeiten, über die Akademiker noch im Nachhinein ins Schwärmen geraten. Uwe Hardter ist davon jedoch weit entfernt. Er ist 27 Jahre alt, nennt Apotheker seinen Traumberuf, studiert deshalb im siebten Fachsemester Pharmazie – und quält sich. Und das gleich doppelt. Denn zum einen ist Hardter nicht nur als Student an der Uni Freiburg eingeschrieben, sondern seit vier Jahren auch als Profi beim Team Gerolsteiner, dem sechstbesten Radteam der Welt. Dort ist der Breisgauer einer von 24 Rennfahrern – und ein Helfer von Stars wie dem Italiener Davide Rebellin. Im vergangenen Jahr fuhr der Freiburger den Giro d’Italia und beendete ihn als einziger Deutscher auf Rang 65. „Nach drei Wochen in Mailand anzukommen, war ein Traum“, sagt Hardter. Er sagt auch: „Jedes Semester ist ziemlich aufwendig.“

Kein Wunder, bei der Doppelbelastung. In diesem Jahr begann die Saison als Radprofi für den groß gewachsenen Mann am 15. Februar mit der Ligurien-Rundfahrt, fünf Tage zuvor noch hatte er seine letzte Prüfung. Was heißt: Als die Kommilitonen nach der Prüfung feiern gingen und in die Ferien aufbrachen, begann für Hardter sein Job als Radprofi, heute beispielsweise beginnt für ihn die Murcia-Rundfahrt.

„Bis jetzt ließ es sich noch einigermaßen kombinieren“, sagt Hardter und denkt zurück an die vergangenen Jahre, wo es so geregelt war: „Während des Semesters trainiere ich morgens und verpasse dadurch die Vorlesungen, nachmittags bei den Seminaren und beim Praktikum, bei denen Anwesenheitspflicht besteht, bin ich dabei, und abends muss ich die Vorlesungen nacharbeiten.“ Im Trainingslager sieht es genau umgekehrt aus: Wenn die Mannschaftskollegen dort nach Trainingseinheiten die Beine im Hotel hochlegten, legt Hardter die Skripte auf den Tisch. „Ich wundere mich selbst, dass ich das so durchziehen kann“, sagt er.

Als Rennfahrer hat der Freiburger schon große Rennen erlebt wie zum Beispiel den Klassiker Paris–Roubaix oder eben den Giro. Doch bislang fehlen Hardter die ganz großen Ergebnisse. Würde der 27-Jährige nicht „nebenbei“ studieren, hätte er seine sportliche Leistungsfähigkeit sicher stärker ausreizen können. Andererseits: „Ich bin so realistisch, dass ich weiß, dass ich ein guter Rennfahrer bin, aber nicht ein so guter, um in die Weltspitze zu kommen.“ Deshalb hat er auch nie konsequent auf den Radsport gesetzt.

Dass das Doppelleben Kraft kostet, will er nicht verhehlen. „Ich merke schon, dass es immer schwerer wird, sich voll zu motivieren“, sagt er. „Über die Jahre wird es immer schwerer, sich für beides aufzuraffen.“ Diesen Winter hat der Allrounder die Doppelbelastung dennoch noch mal auf sich genommen, auch weil er gemerkt hat, dass er sich in der Vorsaison weiterentwickelt hat. „Vielleicht“, sagt Hardter gar, „wäre ich ohne das Studium gar nicht besser gefahren, aber der Stress wäre weniger gewesen.“ Angesichts der geistigen und körperlichen Belastung, die kennzeichnend sind für das Pharmazie-Studium auf der einen und den Beruf des Rad-Profis auf der anderen Seite, muss er sich dann aber doch selbst korrigieren: „Es wäre in den Rennen einfach mehr Biss da gewesen – und dadurch wären wahrscheinlich auch bessere Leistungen zu Stande gekommen.“

Die Doppelbelastung ist bei der sportlichen Leitung von Gerolsteiner aber auch so akzeptiert, auch wenn Teamchef Hans-Michael Holczer ganz froh darüber ist, dass die anderen Rennfahrer kein pharmazeutisches Staatsexamen anstreben. „Hans Holczer sagt, dass ich für die Leistung, die ich bringe, bezahlt werde. Mehr bringe ich eben nicht, und mehr bekomme ich auch nicht“, rechnet Hardter vor, so einfach ist das – und doch so schwer. Dennoch: Der 27-Jährige hat diesen Weg gewählt – und er will ihn zu Ende gehen.

Studentisch gesehen ist der Freiburger auf die Zielgerade eingebogen, es fehlt nur noch ein Semester. „Das wird ziemlich schwierig“, sagt er, und erstmals ist Unsicherheit greifbar. „In Freiburg wird das achte Fachsemester im Winter nicht angeboten“, erklärt er, für den Winterstudenten Hardter ein beinahe unlösbares Problem. „Ich hoffe, dass ich das achte Semester in Tübingen machen kann und anschließend das zweite Staatsexamen wieder in Freiburg.“ Und dann? „Ich habe mir fest vorgenommen, dass es in diesem Winter das letzte Mal war, dass ich beides mache. Es ist einfach ein Motivationsproblem. Und da leidet der Sport, und es leidet das Studium darunter“, sagt Hardter. Und überhaupt: „Praktisches Jahr und Radrennfahrer, das geht dann wirklich nicht mehr.“