Aristide: Ich wurde von den USA entführt

Haitis Expräsident wirft den USA aus seinem zentralafrikanischen Exil vor, ihn aus dem Amt gezwungen zu haben. US-Diplomaten bestreiten: Sie hätten ihm nur gesagt, seine Sicherheit – von US-Wachleuten garantiert – sei nicht zu gewährleisten

VON STEFAN SCHAAF

Mit Skepsis sind in Washington die Vorwürfe des haitianischen Expräsidenten Jean-Bertrand Aristide aufgenommen worden, er sei von US-Diplomaten und -Militärs „entführt“ worden und sei Opfer eines „Staatsstreichs“. Der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, bezeichnete diese These als „völligen Unsinn“. Aristide habe das Land aus freien Stücken verlassen.

Aristide hatte in Telefoninterviews unter anderem mit der Nachrichtenagentur AP gesagt, sein Gang ins Exil am Sonntag sei von US-Militärangehörigen erzwungen worden. Die Kongressabgeordnete Maxine Waters, eine liberale Demokratin aus Los Angeles, berichtete, ihr habe Aristide am Telefon gesagt, er sei nicht zurückgetreten, sondern „entführt“ worden. Man habe ihm „befohlen“, zurückzutreten, er sei dazu „gezwungen“ worden. Auch der bekannte Afrika-Lobbyist Randall Robinson, wie Waters seit langem ein Freund Aristides, berichtete, der ehemalige haitianische Präsident habe ihm am Telefon gesagt, er sei „mit vorgehaltener Waffe ins Exil gedrängt“ worden.

Verschiedene US-amerikanische Politiker und Diplomaten bestritten diese Darstellung. Außenminister Colin Powell sagte, sie entbehrten jeglicher Grundlage und seien „absurd“. Aristide sei von 15 seiner eigenen Sicherheitsleute begleitet worden, als er ins Exil flog.

James Foley, US-Botschafter in Haiti, sagte, man habe Aristide am Samstag und Sonntag gesagt, seine Sicherheit sei angesichts der vorrückenden Rebellen nicht länger gewährleistet, er solle deshalb seinen Rücktritt erklären und ins Exil gehen. Dann würden die USA für seine Sicherheit garantieren. Aristide habe daraufhin ein Dokument unterschrieben, in dem er seinen Rücktritt erklärte, und wurde anschließend in einem vom State Department gecharterten Flugzeug und unter Bewachung von US-Militär außer Landes geflogen. Aristide sei klar gewesen, dass seine Position nicht mehr haltbar sei, sagten US-Diplomaten. Aristide war aber offenbar unklar, in welches Land er gebracht würde. Er befindet sich jetzt im Präsidentenpalast der Zentralafrikanischen Republik und wird dort nach Angaben der französischen Regierung von französischen Soldaten „beschützt“.

Wie die US-Zeitung Miami Herald gestern berichtete, wurde Aristides Sicherheit seit 2002 von früher 60 und zuletzt noch etwa 25 bewaffneten Leibwächtern eines privaten Sicherheitsdienstes garantiert. Sie waren bei dem auf Personenschutz spezialisierten Unternehmen Steele Foundation aus San Francisco angestellt. Die Leibwächter der Firma, die auch für den Schutz des afghanischen Präsidenten Karsai sorgt, sind überwiegend Veteranen der US-Special Forces und der Personenschutz-Einheit des State Department. Das Außenministerium hatte den Vertrag des Unternehmens mit Aristide gebilligt, berichtete die Zeitung und erklärte, die US-Regierung habe sich zuletzt dem Wunsch Aristides widersetzt, diese Leibwache zu verstärken. Die US-Botschaft in Port-au-Prince befürchtete, er würde sie zum Gegenangriff auf die Rebellen nutzen.

Der Präsident des karibischen Staatenbundes Caricom, Jamaikas Premierminister Patterson, sagte, die Menschen bezweifelten die Freiwilligkeit von Aristides Rücktritt. Dessen Entfernung aus dem Amt könne „von demokratisch gewählten Regierungen als gefährlicher Präzedenzfall“ betrachtet werden. Caricom hatte sich seit Wochen um eine diplomatische Beilegung des haitianischen Machtkampfs bemüht. Venezuelas Staatspräsident Hugo Chávez, ein Gegner der USA, nannte Aristides Sturz „eine Tragödie“.