Schäubles Bermudadreieck

Das Trio Stoiber, Merkel und Westerwelle sucht keinen Präsidenten mehr, sondern nur den Sündenbock fürs eigene Versagen

AUS BERLIN PATRIK SCHWARZ

So stürmisch ist noch kein Tag verlaufen, dabei hat es bei der Suche von CDU/CSU und FDP nach einem gemeinsamen Kandidaten für Schloss Bellevue schon bisher an Turbulenzen nicht gefehlt. Doch zwischen spätem Montag und spätem Dienstagabend ging es endgültig nicht mehr um geeignete Männer oder Frauen für das Schloss Bellevue. Vielmehr versuchten im Laufe einer Nacht und eines Tages alle drei Oppositionsparteien, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen – und am Ende könnte ausgerechnet der Favorit im Regen sitzen bleiben, Wolfgang Schäuble.

Das mittlere Desaster nahm einen durchaus gebührenden Anlauf, es begann am vorgestrigen Abend mit einem überraschenden Zweiergipfel der Unionschefs Edmund Stoiber und Angela Merkel in Berlin. Danach hielt es den stets leicht angespannten Bayern nicht mehr auf seinem Hosenboden. Was auch immer Stoiber gestochen hatte – und darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen –, er gab eine folgenschwere Anweisung: Der CSU-Chef ließ zwei Nachrichtenagenturen ausrichten, selbstverständlich ohne Nennung seines Namens, Merkel und er hätten sich auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigt: Wolfgang Schäuble. Weil derartige Manöver in Berlin selten geheim bleiben, machten im Regierungsviertel binnen Kürze nicht nur die Eilmeldungen der Agenturen die Runde, sondern auch der Name des angeblichen Durchstechers, Stoiber-Sprecher Martin Neumeyer. Stoibers Solonummer stellte eine Vereinbarung auf den Kopf, welche die drei Parteichefs seit Monaten ebenso stupide wie stereotyp wiederholten: Erst redet das Trio unter sich und fortan stets mit einer Stimme.

Bis gestern Abend nun, da sich die drei nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe leicht überhastet in Berlin zusammensetzten, hatte Stoiber es mit seinem Manöver geschafft, die Union in eine reichlich missliche Ausgangslage zu bringen. Zwar haben inzwischen alle Beteiligten so oft über Bande gespielt, dass selbst Liebhaber des Präsidentenspiels Sinn, Zweck und Motive der einzelnen Züge nicht mehr überblicken, doch das Stoiber-Rätsel war gestern am größten: Wollte der Mann Schäuble nützen oder schaden? Westerwelle zumindest, daran herrschte in der FDP-Zentrale kein Zweifel, sieht in Stoiber einen Quertreiber. Schließlich hatte der FDP-Vorsitzende nur Stunden vor Stoibers Presse-Trick erklärt, Wolfgang Schäuble sei als gemeinsamer Kandidat von Liberalen und Union nicht mehr vorstellbar. Wollte der Unionsfürst Stoiber also den Parteifreund Schäuble vor dem schnellen Aus retten, indem er ihn mit einem kräftigen Schubs zurück in die öffentliche Arena schob? Oder wollte er Schäuble ausbremsen? Dagegen spricht, dass Schäuble bisher nirgendwo in der Union so viel Unterstützung findet wie in der CSU.

Böse Absicht? Gute Absicht? Wenn der Bayer dem Badenser Schäuble helfen wollte, dann handelte es sich zumindest um einen bösen Fehlgriff bei der Wahl der Mittel. Der frühmorgendliche Anruf des Stoiber-Sprechers brachte erst die FDP in Rage, dann Angela Merkel. FDP-Politiker erklärten sich plötzlich öffentlich und scharenweise gegen Schäuble, Wolfgang Kubicki aus Schleswig-Holstein fasste ihre Bedenken so zusammen: „Schäuble ist einer der fähigsten Köpfe, die die Republik hat, aber er ist ein Konservativer.“ Guido Westerwelle verließ sich nicht auf verbale Proteste gegen Schäuble, er setzte auf die Überzeugungskraft handfester Drohgebärden gegen die Union: Mitten in die allgemeine Verwirrung des gestrigen Tages hinein bestätigte sein Sprecher, der FDP-Chef habe sich hinter den Kulissen bereits mit der SPD-Doppelspitze Schröder/Müntefering sowie separat mit Grünen-Chef Reinhard Bütikofer getroffen. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass dabei über Cornelia Schmalz-Jacobsen gesprochen wurde, die fast schon vergessene Kandidatin eines möglichen rot-gelb-grünen Ampelbündnisses.

Unmissverständlicher kann Westerwelle das in Unions- wie FDP-Kreisen so gern beschworene „bürgerliche Lager“ kaum unter Zugzwang setzen. Gegen Mittag hatte sich bereits Angela Merkel genötigt gesehen, in der „Tagesschau“ Stoibers Bündnis für Schäuble offen zu widersprechen: „Wir haben uns nicht geeinigt.“ Auch CSU-Landesgruppenchef Glos beteuerte, der Gipfel habe nicht darauf gezielt, die Liberalen „zu verprellen“.

Zustimmendes Kopfnicken erntet derzeit bei Akteuren und ihren Hintersassen folgendes Szenario: Weil Merkel und Stoiber klar war, dass eine Mehrheit für Schäuble eine bestenfalls wacklige Angelegenheit ist, unternahmen sie gestern einen letzten Anlauf für den ewigen Prince Charles der CDU. Beim Dreier-Gipfel mit dem FDP-Vorsitzenden könnten sie dann ihre Reservekandidaten feilbieten (siehe Kasten). Kurz gesagt: Die Union kämpft für Schäuble, aber mit der Bereitschaft, zu verlieren – und der Entschlossenheit, die Schuld dafür der FDP zu geben.