STREIKS IN ÖSTERREICH, FRANKREICH & STREIT UM SCHRÖDERS AGENDA 2010
: Zukunftsentwürfe fehlen

Während in Deutschland der Kampf um den Sozialabbau auf den Regionalkonferenzen der SPD und zwischen den Gewerkschaften tobt, ist er in Frankreich und Österreich schon auf der Straße angelangt. Gestern begannen die Streiks gegen die Rentenreform von Premier Raffarin und Kanzler Schüssel. In Österreich ist gar der massivste Ausstand seit mehr als einem halben Jahrhundert zu vermelden. Keine Zeitungen, keine Busse, kein Schulunterricht – fast roch es nach Generalstreik.

Ähnlichkeiten sind mehr als zufällig, die Differenzen dennoch signifikant. Zunächst geht es in Österreich und Frankreich gegen Reformpläne rechtskonservativer Regierungen, was Linksparteien und Gewerkschaften Schulter an Schulter aufstehen lässt – mit der Kämpfergeste, die auch ein bisschen Zitat verflossener Zeiten ist. In Deutschland ist der Frontverlauf, sagen wir: komplizierter.

Aber im Kern geht es um die gleiche Sache. Regierungen reagieren auf den Zwangsmix aus Globalisierung, Diktat der leeren Kassen und der Kraft der demografischen Entwicklung, indem sie schlicht und plump sparen, indem sie Arbeitnehmerrechte einschränken und die Arbeitslosen in den Niedriglohnbereich drängen. Das alles tun sie in der Hoffnung, die Arbeitsmarktkrise zu entschärfen. Die Gewerkschafter und linken Sozialdemokraten laufen Sturm dagegen, weil sie es mit Recht für unfair halten, die Probleme so zu lösen, dass man den Schwachen noch mehr Probleme macht. Allerdings kritisieren sie Details, ohne im Großen eine Gegenstrategie anzubieten, die überzeugend und praktikabel wäre.

Das Publikum – und letztlich wohl auch ein Großteil der Akteure selbst – wirft einen Blick auf die seltsame Konstellation und weiß, dass beide Seiten Recht und Unrecht zugleich haben. Es weiß, dass es den Arbeitslosen nichts nützt, den Kündigungsschutz der Arbeit-Habenden zu verteidigen, aber es weiß auch, dass es eine Frechheit ist, das hehre Wort „Reform“ zu benützen, wenn man die Stütze senkt oder die Renten wie in Österreich um 20 oder 40 Prozent absäbelt.

Darum auch der eher sportliche Blick auf die Kombattanten. Da gibt’s Applaus für Schröder, weil er so ein Kämpfer ist; und auch ein aufmunterndes Bravo für Schreiner, wenn er einmal einen Punkt landet. Und die Linken in Wien drücken den Gewerkschaftern die Daumen, vor allem weil sie Schüssel nicht mögen.

Aber Politik – eine Debatte über zwei alternative Zukunftsentwürfe, der große Streit über Neoliberalismus versus Wohlfahrtsstaat – ist das weder in Wien noch in Paris oder Berlin. ROBERT MISIK