„Stochern mit der Stange im Nebel“

Die Aktien steigen. Doch die langfristige Entwicklung habe nichts mit dem Kriegsende zu tun, sagt Forscher Pohl

taz: Der Irakkrieg ist vorbei, und der DAX steigt wieder über 3.000 Punkte. Erst freuen sich die Anleger, dass der Krieg beginnt, dann, dass er aufhört. Wieso?

Rüdiger Pohl: Die Anleger sind zuversichtlich, dass die Konjunktur doch noch wieder in Schwung kommt – und das unbelastet durch den Krieg. Die Gewinne würden steigen und die Kurse nach oben getrieben.

Und welche Vorteile sahen die Anleger im Kriegausbruch?

Während der langen Hängepartie vor Kriegsbeginn herrschte eine große Verunsicherung darüber, wann es denn nun endlich losgeht. Als es dann so weit war, hofften viele Investoren auf ein schnelles Ende mit geringen Folgen für die Öl-Ökonomie. Was ja auch eingetroffen ist.

Die 3.000-Punkte-Marke gilt als psychologisch bedeutsam. Warum sind solche Marken an der Börse so wichtig?

Weil keiner Gründe kennt, warum die Kurse steigen oder fallen. Alle stochern mit der Stange im Nebel herum. Weil man nichts Besseres weiß, nimmt man solche Marken und geht davon aus, dass sie die Psychologie beeinflussen.

Welchen Einfluss hat das Kriegsende auf die langfristige Entwicklung des DAX?

Meiner Meinung nach hat das keinen Einfluss. Ein langer Krieg als Alternative hätte die Kurse schon beeinflusst. Die langfristige Entwicklung hängt davon ab, ob die Weltwirtschaft wieder in Fahrt kommt und ob wir wieder an die Wachstumsraten der 90er-Jahre anschließen können. Ich glaube nicht, dass das passiert. Trozdem werden der DAX und andere Aktienkurse steigen.

Auch der Euro steigt und hatte gestern mit einem Wert von 1,13 Dollar ein Vierjahreshoch erreicht. Ist das gut?

Zum einen macht es den Export teurer und das können wir in einer schwachen Konjunkturphase nicht gebrauchen. Der teure Export wirft uns sogar zurück. Auf der anderen Seite müssen wir für Importe wie Öl weniger ausgeben. Davon profitieren natürlich dann auch die Verbraucher. In der Tendenz gleichen sich beide Faktoren aus. Daher sollte man den Einfluss der Wechselkurse nicht überschätzen.

Wie weit kann der Euro noch steigen?

Wenn ich dass wüsste, würde ich an der Börse ein spekulatives Geschäft machen. Klar ist: Der Euro hat noch nicht wieder den Wert erreicht, den er zu Beginn im Jahr 1999 hatte.

Welche Auswirkungen hat es, dass das irakische Öl nicht mehr in Euro gehandelt wird?

Es ist völlig schnuppe, in welcher Währung ein Rohstoff gehandelt wird. Auf dem Markt zählen Angebot und Nachfrage. Der Preis regelt das in allen Währungen. Ein anderes Problem sind die starken Wechselkursbewegungen, die aber auch vom Markt abhängig sind.

Soll sich die Regierung in Zukunft an solchen Kriegen wie dem Irakkrieg beteiligen?

Ich würde niemals einen Krieg aus wirtschaftlicher Sicht führen, nur aus politischen Gründen. Aber in der Kontroverse treffen verschiedene Meinungen aufeinander. Die Frage ist hier: Hat man ein moralisches Recht, in Länder reinzugehen, in denen diktatorische Regime Schaden anstellen?

Nach dem 11. September lagen Konjunkturforscher mit Vorhersagen öfter daneben. Machen sie sich damit nicht selbst überflüssig?

Wir werden nie den Zustand erreichen, dass die Menschen keine Prognosen mehr machen. Prognosen gehören dazu, besonders wenn wir sehen wollen, was in den nächsten Monaten passiert. Nur: Eine Prognose ist nicht so wie ein Felsen, den man hinlegt und dann ist das so. Prognosen müssen sich immer an neue Situationen anpassen. Bei schlechten Nachrichten müssen die Konjunkturprognosen nach unter angepasst werden. INTERVIEW: CHRISTIAN HONNENS