Von der Revolte zur grünen Partei

Auf den Spuren der 68er-Symbolfigur: Das 3001 zeigt – passend zum Erscheinen der Tagebücher von Rudi Dutschke – Helga Reidemeisters unprätentiöse Dokumentation „Aufrecht gehen“ aus dem Jahr 1988

Als der damalige CSU-Bundestagsabgeordnete Franz-Xaver Unertel Rudi Dutschke als „ungewaschene, verlauste und verdreckte Kreatur“ titulierte, waren die Tage bis zum Attentat auf die charismatische Leitfigur der 68er-Revolte schon gezählt. Mit diesem Gedanken beginnt der 1988 entstandene Dokumentarfilm Aufrecht gehen. Rudi Dutschke-Spuren von Helga Reidemeister, der eine biographische Skizze der Person Rudi Dutschke mit der Schilderung des politischen und kulturellen Klimas in der Bundesrepublik der 60er und 70er Jahre verbindet.

Der Film, der gemessen an einigen zum Teil dubiosen jüngeren Reminiszenzen an die 68er erfreulich unprätentiös daherkommt, gibt sich nicht mit einem bloßen Porträt des offiziellen Spiritus Rector der APO zufrieden, sondern versucht, dessen politische und persönliche Entwicklung in den Jahren nach dem Attentat als symptomatisch für den Fortgang eines bestimmten Teils der deutschen Linken zu interpretieren. Dutschkes durch die Schüsse des verkappten Neonazis Josef Bachmann erlittener „Tod auf Raten“ erscheint im Film als melancholische Metapher: für eine sich ehemals als revolutionär verstehende Bewegung, deren Ende in der parlamentarischen Institutionalisierung und damit einhergehenden Verharmlosung durch die Gründung der grünen Partei bestand.

Reidemeisters chronologische Rekapitulation der wichtigsten Stationen in Dutschkes Leben als Pazifist, Revolutionär und Ehemann zeigt neben zahlreichen Archivaufnahmen ausschlaggebender politischer Ereignisse Bilder aus seinem Privatleben und kommentiert sie durch Interviews mit Zeitzeugen, Freunden und Familienangehörigen.

Neben Erich Fried, Klaus Wagenbach und Dieter Kunzelmann kommt auch Dutschkes Vater Alfred zu Wort, der mit einem verschmitzen Lächeln voller Stolz davon erzählt, wie sein Jüngster einst die BRD aufgemischt hat. Und man sieht den in den letzten Jahren zum nationalistischen Rechtsaußen konvertierten Bernd Rabehl, der Dutschkes ältestem Sohn Hosea Che von den Ursachen und Motiven der Studentenrevolte und ihren Konsequenzen berichtet. Am eindrucksvollsten unter diesen Kommentaren dürfte wohl das Gespräch von Karola Bloch mit Hellmut Gollwitzer über Notwendigkeit und Legitimität von Gewalt als Mittel politischer Veränderung sein. Die betagte Witwe des Philosophen Ernst Bloch, der großen Einfluss auf die Theoriebildung Dutschkes hatte, erklärt dem vom prinzipiellen Pazifismus überzeugten Theologen mit einer Zigarette in der Hand, dass bestimmte Formen von Gewalt für wirklich tiefgreifende politische Veränderungen einfach unerlässlich seien.

Was die Dokumentation leider völlig unberücksichtigt lässt, ist eine Problematisierung von Dutschkes vielfach kritisierter Begeisterung für die unterschiedlichen nationalen Befreiungsbewegungen und der Übertragung derartiger Konzepte auf die beiden deutschen Nachkriegsstaaten. Doch wen der Film zu einer weiteren Beschäftigung mit Dutschke und seinem Denken anregen sollte, der findet in seinen kürzlich erschienenen Tagebüchern eine aufschlussreiche Lektüre. Matthias Seeberg

Do, Fr + Mo–Mi, 18 Uhr, 3001