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Pfingsten auf Schwedisch

Von der Freundschaft zweier, die vielleicht auch bloß Scharlatane waren: Per Olov Enquist ergründet in „Lewis Reise“ die schwedische Erweckungsbewegung und leuchtet Hintergründe und Verwicklungen aus

Als Per Olov Enquist vor zwei Jahren mit Der Besuch des Leibarztes ins Literaturhaus einkehrte, streute Übersetzer Wolfgang Butt, dass Enquist schon an seinem nächsten Werk säße. Ein Werk von ungeheurer Fülle werde das, mit stark autobiographischen Zügen.

Beides trifft zu. Lewis Reise heißt das knapp 600 Seiten mächtige Buch. Sein Thema: Die schwedische Pfingstbewegung. Gewidmet hat Enquist das Buch seiner Mutter, Anhängerin dieser Bewegung. Und wie ihre Religiosität in Enquist tiefe Spuren hinterlassen hat, das ergründet er hier. Dazu sagt er: „Ich bin jetzt 68 Jahre alt und habe erst jetzt verstanden, wie es zuging, dass ich ein Mensch wurde.“

Wie man ein Mensch wird – kleiner geht es bei Enquist selten. Und wie man dessen Biographie schreibt, das ist Enquists Metier. Er porträtierte bereits Knut Hamsun und Selma Lagerlöf; in Der Besuch des Leibarztes widmet er sich dem Arzt Struensee, der am Hof des dänischen Königs Christian VII. eine Revolution von oben zu diktieren versuchte. Einen weiteren Ausflug ins 18. Jahrhundert unternahm Enquist mit Der fünfte Winter des Magnetiseurs und dem zweifelhaften Wunderheiler Friedrich Meisner als Protagonist.

Auch in Lewis Reise trifft man auf Scharlatane. Denn es kommt nicht von ungefähr, dass die Pfingstler mit ihrem befremdlichen „In Zungen-Reden“ zur weltweit zweitgrößten christlichen Gemeinschaft wurden. Gründer der schwedischen Erweckungsbewegung ist Lewi Pethrus. Nachdem er sich aus der Armut herausgearbeitet hat, steigt er, beseelt vom Glauben und mit der Sturheit eines Beamten, zum Pionier dieser Bewegung auf. Doch er macht die Reise nicht allein: Der Schriftsteller Sven Lidman stößt auf die „Erweckten“ – und die, die es noch werden sollen. Hier steht ihm eine Karriere als charismatischer Prediger Nummer eins bevor.

Zentrales Thema des Buchs ist dann auch die intensive Freundschaft der beiden, die sich schließlich an Eitelkeiten und Leistungsdruck zerreibt. Zwei grundverschiedene Typen an der Spitze und nur teilweise im Dienste einer bewegten Masse: Keineswegs müsste es sich hier um Religion handeln. Wer von den beiden ein Scharlatan ist, darauf gibt Enquist keine Antwort. Er urteilt auch nicht, sondern schreibt in distanziertem, manchmal verwundertem Tonfall eines Außenstehenden.

im Übrigen schafft Enquist mit Lewis Reise wieder einmal eine ganz ungeheuerliche Komposition. Er spannt den Bogen über ein halbes Jahrhundert, durchleuchtet verschiedene soziale Schichten, unternimmt Ausflüge in die literarische Welt: Aus all dem setzt sich ein Erklärungsversuch über Historie und Zustand der Pfingstbewegung zusammen. Ein Roman im eigentlichen Sinne, zudem einer zum Weglesen, ist das Buch aber sicher nicht. Liv Heidbüchel

Per Olov Enquist: Lewis Reise. München: Hanser-Verlag 2003; 576 S., 24,90 Euro. Lesung: Di, 13.5., 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38

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