ZSUZSANNA JÁRAI, UNGARN
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Wenn die Apothekerin Zsuzsanna Járai am späten Nachmittag von der Arbeit kommt, dann geht sie zu einer Freundin, die in ihrer Straße wohnt. Sie betreut dann deren vier Kinder als Babysitterin und bessert damit ihr Gehalt auf. „Solange ich zurück denken kann, hatte der Ungar nach Feierabend immer noch zwei, drei Jobs“, sagt Zsuzsanna Járai. „Acht Stunden Arbeit am Tag reichen nicht zum Leben.“

Zsuzsanna Járai ist Apothekerin, in Südostungarn geboren und in Budapest aufgewachsen. Heute wohnt sie in Dunaharaszti, einem Vorort der ungarischen Hauptstadt. In zwei Zimmern, auf vierzig Quadratmetern, zusammen mit einer Freundin und deren beiden kleinen Kindern.

Zsuzsanna Járai war gerade aus dem Kindesalter heraus, als die ungarischen Kommunisten 1989 mit der Opposition am runden Tisch verhandelten, ihren Machtverzicht erklärten und erstmals freie Wahlen zuließen. „Es war ein bisschen wie im Märchenland“, sagt sie. „Alle lebten in einer großen Euphorie.“ Sie ist schon lange nicht mehr euphorisch. Sie bedauert, dass sie ein Kind des Übergangs ist. „Wir warten seit so vielen Jahren vergeblich darauf, dass es besser wird“, erzählt Zsuzsanna Járai. „Es gibt viele reiche Leute in Ungarn und noch mehr Arme, und die Unterschiede werden immer größer.“

Letztes Jahr hat sie für Ungarns Beitritt zur EU gestimmt. Mit halbem Herzen und Zweifeln. Sie glaubt nicht, dass sich dadurch etwas verbessert, „frühestens in fünfzehn Jahren“. „Aber“, sagt sie, „ich habe für die EU gestimmt, weil wir ja nicht die Schweiz oder Norwegen sind. Irgendwohin müssen wir Ungarn gehören. Jetzt ist es eben die EU.“ KV