Die Bankerin, die balanciert


AUS BUDAPEST KENO VERSECK

Der Weg ins Büro von Krisztina Horváth gleicht dem Weg ins Allerheiligste. Er führt, in Begleitung einer schweigsam vorausschreitenden Sekretärin, über enge, verwinkelte Korridore und durch viele Türen. Jede lässt sich nur mit einer Magnetkarte öffnen – selbst die Glastür zum Fahrstuhl.

Krisztina Horváth, 40, ist die stellvertretende Chefin der ungarischen Raiffeisen-Bank und leitet die Abteilung für Marketing, Controlling und Produktentwicklung. Damit ist sie eine der wenigen erfolgreichen Frauen in der ungarischen Finanzwelt. Letztes Jahr gab die Budapester Tageszeitung Magyar Hírlap, die jährlich eine Liste der reichsten ungarischen Geschäftsleute erstellt, erstmals ein Sonderheft mit den fünfzig prominentesten ungarischen Geschäftsfrauen heraus. Viele arbeiten in der Mode- und Kosmetikbranche, führen Textilunternehmen oder Werbeagenturen. Krisztina Horváths Name steht auf der kurzen Liste der Top-Managerinnen aus Großunternehmen.

Sie arbeitet in einem großen, hohen Büro mit Blick auf die Donau und die Hügel von Buda. In ihrem Büro gibt es nur einen Schreibtisch und einen Empfangstisch mit vier Stühlen, an der Wand hängen zwei kubistische Gemälde. Die Sparsamkeit der Einrichtung macht den Raum erst recht groß.

Krisztina Horváth ist eine kleine, schlanke Frau. Sie trägt ein klassisch-elegantes, graues Kostüm, ein rotes Top, hochhackige Schuhe trägt sie nicht. Sie hat eine freundliche, kräftige Altstimme, und sie bewegt sich souverän in diesem Raum, in dem sich ihre Gestalt leicht verlieren könnte.

In einer Ecke des Büros steht eine Glasscheibe in Briefbogengröße, die gerade unter dem Schlag eines Hammers zu zerbersten scheint. Gefrorene Dramatik – eine Skulptur, die Krisztina Horváth von Kollegen aus der Bank geschenkt bekommen hat. „Das wollten sie ausdrücklich als positives Symbol verstanden wissen“, sagt sie und lacht.

Krisztina Horváth ist in Rumänien aufgewachsen, in der siebenbürgischen Metropole Klausenburg, dem kulturellen Zentrum der ungarischen Minderheit. An der Klausenburger Universität hat sie Mitte der Achtzigerjahre Volkswirtschaft studiert.

Es ist die düsterste Zeit der ohnehin düsteren Ceaușescu-Diktatur. Lebensmittelmarken, Stromsperrung, im Winter eisige Wohnungen, das Land abgeschottet. Krisztina Horváth erinnert sich gelassen an endlose Schlangen vor nahezu leeren Geschäften. „Nie war irgendetwas einfach da“, sagt sie. „Vielleicht bin ich deshalb jemand, der nicht meint, dass er auf bestimmte Dinge automatisch einen Anspruch hat. Wenn ich etwas erreichen will, dann kämpfe ich darum.“

Im Dezember 1986, kurz nach dem Abschluss ihres Studiums, siedelt sie nach Budapest über. Zwei Jahre zuvor hat sie einen jungen Ungarn kennen gelernt, den sie nun heiratet. „Es war einer dieser Zufälle, die sich manchmal im Leben ergeben“, sagt sie. „Aber ich hätte das Land ohnehin irgendwann verlassen, deshalb hätte sich früher oder später eine ähnliche Gelegenheit ergeben.“ Der Satz klingt nach Kalkulation, so als habe sie mit dem Entschluss, das Land zu verlassen, die einzig mögliche Lösung für eine mathematische Gleichung gefunden.

Hat sie das Leben in Rumänien, das Leben als Angehörige einer Minderheit, als trist und perspektivlos empfunden? Nüchtern sagt sie: „Das Dasein in der Minderheit bot auch Möglichkeiten. Wir konnten ungarisches Radio hören. So habe ich erfahren, dass es außerhalb der unseren noch eine andere Welt gibt. Ich wollte in eine andere Welt.“

Nach zwei Monaten in Ungarn bekommt sie eine Stelle als Sachbearbeiterin in der Devisenabteilung der Ungarischen Nationalbank. Auch ein Zufall: Sie habe „auf der Straße, über drei Ecken“ von dem Posten erfahren. Sie entdeckt ihre Leidenschaft für die Finanzwelt. Von der Nationalbank wechselt sie im April 1989 zur Unic Bank, einer neu gegründeten Privatbank, deren Anteile unter anderem der österreichischen Raiffeisen gehören und die später von dieser ganz aufgekauft wird.

Eine Zeit der Chancen: Kurz vor ihrem Machtverlust beschließen die Kommunisten, ein Bankensystem nach westlichem Muster einzuführen, und lassen die Gründung von privaten Banken zu. In der Raiffeisen-Unic-Bank ist Krisztina Horváth unter den ersten 80 Mitarbeitern, die eingestellt werden. Von ihrem Posten als Sachbearbeiterin, „vom unteren Ende der Leiter“, wie sie sagt, steigt sie auf zur Kundenbetreuerin für Großunternehmen, absolviert nebenbei Lehrgänge in Finanzmathematik und macht 1995 nach einem zweijährigen Fernstudium an der Universität von Manchester ihren Abschluss als Master of Business Administration. Drei Jahre später wird sie stellvertretende Generaldirektorin der Raiffeisen-Bank in Ungarn.

Eine seltene Karriere für eine Frau. Wie überall sind auch in Ungarn die Führungspositionen fast ausschließlich in Männerhand. Dass Krisztina Horváth diese Bastion erobert hat, schreibt sie vielen Umständen zu. „Wenn ich eine Möglichkeit sehe, dann nutze ich sie“, sagt sie. „Meine Möglichkeit war, dass ich nicht in eine fertige Bankwelt gekommen bin, sondern etwas von Anfang an mit aufgebaut habe. Hier in der Bank herrscht auch eine sehr offene Atmosphäre. Was zählt, ist eine gute Strategie auf dem Tisch, nicht dass ich eine Frau bin. Und natürlich war und bin ich ambitioniert, umso mehr, als ich aus Siebenbürgen, aus dem Ausland, hierher gekommen bin. Ich wollte unbedingt beweisen, wozu ich fähig bin“, sagt Krisztina Horváth.

Würde sie von der Bank, in der sie nun schon so lange arbeitet, weggehen, wenn sie in einer anderen den Chefsessel angeboten bekäme? „Natürlich habe ich noch immer Ambitionen“, sagt sie. „Aber ich bin lieber stellvertretende Generaldirektorin in einer großen Bank als die Nummer eins in einer kleineren. Raiffeisen ist derzeit die fünftgrößte Bank in Ungarn. Wir wollen unser Netz in den nächsten drei Jahren von 50 Filialen auf 120 erweitern. Daran arbeite ich mit.“

Ein Anruf, auf den sie ungeduldig wartet, unterbricht das Gespräch. Er kommt von ihrem Mann István. Er ist selbstständiger Goldschmied und hat soeben die große mündliche Prüfung seines Kunstgeschichtsstudiums abgelegt. „Bestanden!“, ruft er laut ins Telefon. Krisztina Horváth atmet auf. „Na, dann bin ich beruhigt“, sagt sie froh.

Ihr Privatleben hat Krisztina Horváth nicht opfern müssen. Sie hat zwei Söhne. Einer ist achtzehn Jahre alt und stammt aus ihrer ersten Ehe. Ihren zweiten Mann, István, der vier Jahre jünger ist als sie, hat sie 1990 geheiratet. Zusammen haben die beiden einen sechsjährigen Sohn. Mit ihrem Mann geht Krisztina Horváth gern ins Theater, möglichst einmal pro Woche. Dreimal im Jahr macht die ganze Familie Urlaub.

Krisztina Horváth arbeitet viel. Dienstschluss ist dann, wenn sie meint, ihre Aufgaben erledigt zu haben – also eher spät. Wäre sie ein Mann, würde niemand sie fragen, wie sie dieses Pensum, wie sie Beruf und Karriere, Ehe und Kinder miteinander vereinbart. Sie lächelt. Natürlich ist sie oft danach gefragt worden.

„Wenn mein Mann auch so viel gearbeitet hätte wie ich, dann hätte ich keine Karriere machen können“, sagt sie. „Wir wollten nicht alles mit Kinderbetreuung regeln, ich habe auch feste Rollen in der Familie. Morgens bringe ich die Kinder zur Schule, abends essen wir zusammen, und meine Freizeit gehört so weit wie möglich ihnen.“ Die Frau macht Karriere, der Mann tritt dahinter zurück, nicht gerade das gewöhnliche Familienmodell – schon gar nicht für Ungarn. Krisztina Horváth lacht: „Nein, absolut nicht.“ Schnell fügt sie hinzu: „Mein Mann hat keine Komplexe deswegen. Natürlich hat er nicht nur gegeben, sondern auch etwas bekommen. Er konnte sich mit seiner Leidenschaft beschäftigen, mit der Kunst.“ Von Geld spricht sie dabei nicht.

Gibt es etwas, was nicht in dieses Bild von perfekter Karriere und harmonischem Privatleben passt? Sie zögert. „Es ist nicht einfach, die Balance zwischen Arbeit und Privatleben zu finden“, sagt sie schließlich. „Ich liebe meine Familie. Ich gehe nicht in die Bank, um von zu Hause zu fliehen. Ich arbeite einfach sehr gern. Aber die Grenze zum Workaholic ist dünn.“ Sie schmunzelt. „Ab und zu beschweren sich meine Kinder. Der Kleine hat neulich zu mir gesagt: ‚Mama, ich möchte, dass einmal du mich aus der Schule abholst!‘ “