Nur die Mutigsten halten durch


VON SAŠA LIENAU

Die Hälfte des Himmels soll den Frauen gehören, so ein chinesisches Sprichwort. Kurz vor der Europawahl im Juni, an der erstmals auch in den zehn neuen EU-Staaten abgestimmt wird, stellen einige Politikerinnen plötzlich mit großem Schrecken fest, dass mit dem Beitritt der osteuropäischen Staaten der Anteil von Frauen in diesem zukunftsträchtigen Gremium ganz entschieden sinken wird. Und das nach jahrelangen und teilweise erfolgreich geführten Kämpfen in der europäischen Frauenpolitik!

Einst, im Jahre des Mauerfalls, war für die westlichen Frauenorganisationen der Startschuss gefallen: Das Interesse für die Schwestern im Osten stand mit einem Mal hoch im Kurs. Fasziniert waren die Westfrauen von der scheinbar gleichen Stellung der Frauen im Sozialismus, vom hohen Bildungsgrad und der hohen Beteiligung von Frauen im Arbeitsprozess. Der neidvolle Blick richtete sich auf die – leider im Schwinden begriffene – staatliche Unterstützung der arbeitenden Frau, auf die Zahl der Kindergärten, auf den Sonderstatus der allein erziehenden Mütter und den langen Mutterschaftsurlaub mit Arbeitsplatzsicherung. Es kam zu vielen Begegnungen und zur finanziellen Unterstützung für die neu entstehenden Frauenvereinigungen im Osten.

Die anfängliche Euphorie der westlichen Feministinnen und Frauenpolitikerinnen wich nach kurzer Zeit der Enttäuschung, denn die Ansichten über die Stellung der Frau in der Gesellschaft schienen im Osten in die falsche Richtung zu laufen. Der Begriff Feminismus wurde als Schimpfwort benutzt und die in den Verfassungen formal garantierte Gleichheit gaukelte vor, keine weiteren Verbesserungen fordern zu müssen.

Die sozialismusmüden und von Beruf, Familie und Partner gleich dreifach überlasteten Frauen wollten ihr Glück nun wieder allein in der Familie suchen. Tatsächlich entstanden im Rückgriff auf die Vorkriegszeit auch schnell einige neu-alte Bildungsinstitutionen für Frauen. In Tschechien waren dies etwa die so genannten Mütterschulen, die junge Frauen auf ihre Aufgabe in der Familie vorbereiten sollten. Dieser Trend wurde kräftig durch die Massenmedien und in einigen Ländern die neu erstarkte katholische Kirche unterstützt. Das Frauenbild der Transformation glich verdächtig dem der Familienidylle à la Hollywood und wurzelte nostalgisch in der unreflektierten Realität einer Welt, die über 50 Jahre zurücklag.

Die Schwierigkeiten der Verständigung über die reale und zukünftige Stellung der Frauen führten zu einer gewissen Abkühlung in den Beziehungen, das westliche Interesse konzentrierte sich erneut auf die eigene Frauenpolitik, was in Europa nach der UN-Frauenkonferenz von Peking im Jahr 2000 zu einigen Erfolgen auf der EU-Ebene führte. Themen der Gleichstellungspolitik wie Gender Mainstreaming, Gender Budgeting, Quoten und andere Unterstützungsmaßnahmen für die Chancengleichheit bestimmten nun die Tagesordnung der EU-Frauen.

Mit dem Osten wurden in der Zwischenzeit Beitrittsverhandlungen geführt, bei denen die Stellung der Frauen nur eine Nebenrolle spielte. Die meisten der Beitrittsländer konnten auf ihre weitgehend funktionierenden Gesetze in diesem Bereich verweisen, die man zudem durch kleine Schönheitsreparaturen weiter verbessern wollte. Andere Fragen stellten die Verhandlungskommissare nicht. Die reisenden Sozialdemokratinnen des EU-Ausschusses für die Rechte der Frau stellten zwar im Jahre 2000 fest, dass „in den mittel- und osteuropäischen Ländern die Frauen erheblich unter der Systemtransformation zu leiden haben“, aber die Verhandlungen mit den Beitrittsländern wurden dadurch nicht berührt. Die europäisch organisierten Frauenvereinigungen – in Form der EU-akkreditierten Women’s Lobby – schienen erst ein paar Monate vor dem Beitritt aufzuwachen …

In den verschiedenen Beitrittsländern ging in der Zwischenzeit die Diskussion über die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern weiter – wenn auch nur auf der Schmalspur. Grundlegend waren zwei Momente.

In der Umgebung der draufgängerischen, unternehmerisch-verschwitzten Männerthemen konnten nur die mutigsten Frauen standhalten. Unter diesem Druck haben sich auch bei ihnen bestimmte Verhaltensweisen etabliert, die vor jeder Forderung nach Verbesserung der Situation der Frau eine routinierte Absage an den Feminismus formulierten. Die meisten Aktivistinnen und die wenigen Politikerinnen, die sich des Frauenthemas annahmen, probierten die Alternative einer Gender-unverdächtigen Eingliederung in die „Civil-society-NGO-Riege“.

Andererseits wurden die Probleme, die die westliche Frauenbewegung zu Themen der ganzen Gesellschaft gemacht hat, mehr und mehr nun auch im Osten diskutiert. Dank einiger weniger Frauengruppen kam es so langsam zu Veränderungen. Gewalt gegen Frauen, gleiche Entlohnung für gleiche Arbeit, Beteiligung von Frauen an der Politik und in Spitzenpositionen von Gesellschaft und Wirtschaft, an diesen Problemen kamen auch die Politiker der Beitrittsländer nicht mehr vorbei.

Der nahende EU-Beitritt hat dann das Seinige getan. In den meisten mitteleuropäischen Ländern wurden Gesetze nachgebessert und Institutionen eingerichtet, mit denen die Gleichstellung der Frauen gefördert werden sollte. Die formalen Richtlinien der EU zeigten dabei stärkere Wirkung als der Aktivismus der erklärt „unfeministischen“ Frauenorganisationen.

Heute haben Polen und Ungarn selbstständige Ministerien für Chancengleichheit von Frauen und Männern, welchen eine Ministerin vorsteht. Die Tschechische und die Slowakische Republik erfüllten die EU-Forderung, indem sie die Problematik der Hälfte des Himmels in ihren Ministerien für Arbeit und Soziales versteckten. Insbesondere die tschechische Abteilung für Chancengleichheit mit ihren wenigen Beschäftigten, ohne eigenen Etat und integriert in den Bereich der internationalen Beziehungen – dem bisher nur Männer vorstanden – bietet hier ein abschreckendes Beispiel.

Die formale Chancengleichheit verdeckt freilich eine unreflektierte Ansammlung alter Ideologien und Haltungen. Männliche Vertreter konservativer Parteien fühlen sich bestätigt: Der Sozialismus hat der Familie geschadet, die heutige Frau braucht vor allem einen guten Mann und ihre Kinder. Wenn diese nicht die Chance wahrnimmt, in die Politik zu gehen, dann deshalb, weil sie ihre wahre Aufgabe wieder entdeckt hatte.

Die Macht dieser Ansichten für die Stellung der Frau in den Beitrittsländern darf nicht unterschätzt werden. Genauso wenig wie die Auswirkung, die die ökonomische Situation, ja die Armut, für die Chancengleichheit hat. Woher soll eine 30-jährige durchschnittlich gebildete Frau mit durchschnittlich 1,7 Kindern aus dem polnischen Osten oder dem tschechisch-mährischen Norden die Kraft nehmen, sich aktiv für ihre Rechte einzusetzen, wenn ihr die Reformen der Regierungen im Zuge des EU-Beitritts weitere Teuerungen bescheren? Die Züge und Busse in die nahe liegende Kreisstadt wurden privatisiert oder wegen Unrentabilität abgeschafft, ihren frisch eingeführten Zuverdienst während des Mutterschaftsurlaubs schluckt die Krankenversicherung, und ihr Partner ist durch die Schließung großer Betriebe von Arbeitslosigkeit bedroht. Die Angst der westlichen FrauenpolitikerInnen vor dem, was da aus dem Osten auf sie zukommt, hat hier eine gewisse Berechtigung.

Das „neue“ EU-Europa entsendet auf beinahe allen Ebenen in die gemeinsamen Institutionen von Politik und Wirtschaft fast ausschließlich Männer. Eine Ausnahme bildet nur die Kommission, die immerhin drei neue weibliche Mitglieder – aus Polen, Lettland und Litauen – bekommt. Frauen in Ost und West bleibt die Hoffnung, dass diese engstirnige Männerriege aus dem Osten in der EU mit radikaleren Auf- und Anforderungen als zu Hause konfrontiert wird. Und zwar nicht nur von Seiten der weiblichen Europaabgeordneten.