Eine Stadt in Unordnung

Vor 80 Jahren traten Tausende von Werftarbeitern in den Streik – Ende eines halben Jahres geprägt von Rebellion und Arbeiterunruhen. Die Auswirkungen des kommunistischen Oktoberaufstandes von 1923 blieben noch auf Dauer spürbar

„Schließt euch zusammen zum Schutz des Arbeiterstaates Deutschland. Es lebe die Weltrevolution!“

von BERNHARD RÖHL

Es brodelte mal wieder unter den Werftarbeitern. Am 10. März 1924, morgen vor 80 Jahren, traten sie bei den Hamburger Werften in den Streik, nachdem Lohnverhandlungen gescheitert waren. Rund 60.000 Werftarbeiter beteiligten sich an der Küste an dem Ausstand, der bis zum 25. März dauern sollte. Ausfluss eines halben Jahres, das eines der unruhigsten der hamburgischen Geschichte war. Von Herbst 1923 bis zum Frühjahr 1924 stand Hamburg im Zentrum von Arbeiterunruhen.

Angefangen hatte es im Herbst des Krisenjahres 1923 – Inflation, Hunger, Arbeitslosigkeit bestimmten das Bild. Schon im September hatte der KPD-Vorsitzende Heinrich Brandler die Situation im Lande mit der Spitze der Kommunistischen Internationalen in Moskau debattiert. Die russischen Vertreter hielten die deutsche Arbeiterklasse für so revolutionär, dass sie sich für einen bewaffneten Aufstand aussprachen. Brandler teilte diese Auffassung zwar nicht, stimmte den Plänen trotzdem zunächst zu. Nachdem im Oktober die Reichswehr in Sachsen gegen die dortige Arbeiterregierung aus SPD und KPD vorgegangen war, schien der Zeitpunkt für eine militärische Reaktion günstig. Als Ort dafür wählte die KPD Hamburg aus. Zahlreiche Reichswehreinheiten waren zuvor aus Hamburg nach Sachsen abgezogen worden.

Moskau hatte inzwischen kurzfristig einen Kurswechsel vollzogen und entschieden, den geplanten Aufstand abzusagen. Der Beauftragte Moskaus für Deutschland, der schillernde Karl Radek, war mit Brandler übereingekommen, dass die Vorbereitungen für einen Aufstand nicht ausreichten. In Hamburg aber kam diese Nachricht nicht rechtzeitig an – ob dies ein Versehen war oder Absicht der Hamburger KP-Funktionäre, ist unter Historikern bis heute umstritten. Was immer die Ursache war: Der Aufstand begann.

Der 25-jährige frühere Kriegsfreiwillige der kaiserlichen Armee, Hans Kippenberger, hatte sich 1920 der KPD angeschlossen. Als militärischer Leiter des Aufstands in Barmbek schrieb er vor 80 Jahren, im Frühjahr 1924, im Moskauer Exil das Buch „Der Aufstand in Hamburg“. Darin schildert er die Ereignisse aus dem Herbst: „Am 21. Oktober, abends, wurde in einer Sitzung der Verantwortlichen der Hamburger Parteileitung beschlossen loszuschlagen. Die Genossen machten geltend, dass die Situation in Hamburg für eine bewaffnete Massenaktion günstig sei und dass Hamburg das Signal geben muss für die Generalaktion des Proletariats.“

Am Montag, dem 22. Oktober 1923, beschloss der KPD-Bezirk Wasserkante um den Hamburger Stadtleiter Ernst Thälmann den Aufstandsplan. Danach sollten Post- und Telegraphenämter, Bahnhöfe, der Flugplatz und andere wichtige Objekte zu besetzen sein. Die militärischen Gruppen sollten um fünf Uhr früh des nächsten Tages die Polizeiwachen überfallen und entwaffnen.

Von den 26 Polizeiwachen konnten die Aufständischen tatsächlich 17 erobern. Die KPD verfügte damals über fast 18.000 Mitglieder, Kippenberger gibt in seinem Buch die Zahl der bewaffneten Stoßtrüppler jedoch mit nur 300 an – ein Indiz dafür, dass auch viele Kommunisten den Aufstand nicht aktiv unterstützen mochten.

In Schiffbek – dem heutigen Billstedt – leitete Fiete Schulze den Aufstand. Am 23. Oktober bildeten seine Leute dort einen Vollzugsausschuss. In einem Aufruf an die Schiffbeker hieß es: „Schließt euch zusammen zum Schutz des Arbeiterstaates Deutschland. Es lebe die Weltrevolution!“ Eine Aufforderung, der die Arbeiter nicht Folge leisteten: Schon nach Stunden war die Erhebung weitgehend zusammengebrochen, lediglich in Schiffbek und Barmbek hielt sich der Aufstand zwei Tage lang. Die Erwartung, die Arbeiterschaft werde den Aufstand als Fanal sehen, erwies sich als Trugschluss.

1.400 Menschen wurden in den folgenden Wochen angeklagt, der damalige Leiter des Bezirks Wasserkante, Hugo Urbahns, zu zehn Jahren Festungshaft verurteilt, im Oktober 1925 wurde er als gewählter Reichstagsabgeordneter wieder entlassen. Der spätere KP-Chef Ernst Thälmann gehörte zu denen, die noch am 24. Oktober für die Fortsetzung des Kampfes eingetreten waren, während andere wie Urbahns längst das Scheitern des Aufstandes eingestanden hatten. Thälmann und Schulze entgingen einer Verurteilung, indem sie eine Weile untertauchten.

Der Aufstand war nach zwei Tagen vorbei, 90 Menschen tot, die Gräben zwischen der kommunistisch organisierten Arbeiterschaft und den Sozialdemokraten, die sich teilweise an der Niederschlagung des Aufstandes beteiligt hatten, tiefer denn je. Hamburg blieb bis weit ins Jahr 1924 eine unruhige Stadt.