Beschnittenes Kino

Osnabrück will „Kulturhauptstadt Europas 2010“ werden – Die Wahrheit ist dabei

Die zwischen Teutoburger Wald und Wiehengebirge gebettete, mit schmucken Asphaltbändern umgürtete niedersächsische Gemarkung Osnabrück bewirbt sich um den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2010“ und löckt damit wider die Landesregierung, deren Wohlwollen allein auf Braunschweig ruht. Die Wahrheit wird Osnabrück auf dem langen Weg durch die Institutionen publizistisch begleiten und nach bestem Vermögen unterstützen.

Film ist das Band, das Europa zusammenhält. Das weiß auch die künftige Kulturhauptstadt und hat darum ihre Innenstadt mit eleganten Lichtspielhäusern umstellt. In deren Sälen werden die ab dem Jahr 2010 zu tausenden eintrudelnden internationalen Gäste trockenen Hauptes mit Kultur bestrichen werden können, sofern das Wetter einmal nicht zum geselligen Altstadtbummel oder zu anderen Freiluftaktivitäten lädt. Womit man in Osnabrück ja immer rechnen muss, weil gen Tecklenburg strebende regenpralle Wolken sich gern noch einmal erleichtern, ehe sie sich daran machen, die westlich der Stadt gelegenen Höhenzüge zu erklimmen.

Das Kinoangebot wird jedem Geschmack gerecht, vor allem dem gehobenen. Die Filmkunsttheater bieten zum Frommen des geneigten Publikums nicht allein ästhetisch wertvolle Lichtspiele, sondern auch nach ästhetischen Gesichtspunkten ausgewähltes Personal. Eine Einstellungspraxis, die die nur randläufig zur Sache gehörende Frage aufwirft, ob sich die neue Bundesagentur für Arbeit nicht etlicher lästiger Bittsteller entledigen könnte, wenn sie ihnen anstelle der nächsten Qualifizierungsmaßnahme mal eine Schönheitsoperation bewilligen würde.

Die hiesigen Filmkunstmarketender tun das Ihre, den Ruf Osnabrücks bis weit in die Welt hinaus schallen zu lassen. Im Verfolg dessen stellte man im vergangenen Jahr Räumlichkeiten für eine Retrospektive der Filme des Brecht-Schülers Egon Monk zur Verfügung. Geschulten Besuchern der bundesweit annoncierten Veranstaltung fiel auf, dass die selten gezeigten Werke im falschen Rahmen und deshalb nicht im ursprünglich vorgesehenen Seitenverhältnis aufgeführt wurden. Nun handelte es sich bei dieser Tat mitnichten um eine Unachtsamkeit, sondern um ausgemachte Absicht. Dahinter verbarg sich die Hoffnung, dass Osnabrück den von weiter her angereisten Filmfreunden dauerhaft in Erinnerung bleiben werde. Und so geschah es – in Hamburg beispielsweise fällt noch immer der Name Osnabrücks, sobald man in gemütlicher Cineastenrunde auf Egon Monk zu sprechen kommt.

Hat sich der anspruchsvolle Kinofreund an den banausisch beschnittenen Laufbildern delektieren können, darf er sich hernach in der angeschlossenen Restauration auch leiblich verwöhnen lassen. Eine Kölner Gewährsfrau weiß zu berichten, dass ihrem Begleiter dortselbst stolze zehn Euro abverlangt wurden, obwohl der Verzehr nur fünf Euro ausmachte. Auf den umgehenden Einspruch der Dame hin wurde die Rechnung überprüft und widerwillig korrigiert. Schließlich möchte der Osnabrücker nicht als Wegelagerer gelten. Obwohl …

Noch ein anderes mit der Filmkunst in Zusammenhang stehendes Ereignis wurde dem Chronisten hinterbracht. Da tat nämlich mal ein tapferer Kinogänger, was diese Spezies sonst selten wagt, und beschwerte sich über eine schlampige Projektion. Der Mann hatte unfehlbar Recht, wie Zeugen bestätigen. An der Kasse jedoch ward er unterrichtet, bei besagtem Lichtspiel handele es sich um einen Film der dänischen Dogma-Schule und bei dem vermeintlichen Projektionsfehler um einen originellen Einfall des Regisseurs. Da setzte unser Beschwerdeführer seine Kennermiene auf, nickte wissend und trollte sich zurück in den Saal. Draußen aber rieb man sich die Hände, war man doch wieder einmal um die eigentlich fällige Rückzahlung des Entrees herumgekommen. Denn selbstverständlich war der fragliche Film weder den Dogma-Jüngern zuzuschlagen, noch hatte sich der Regisseur ein wild flackerndes Bild ausbedungen.

Was die Osnabrücker Filmlandschaft angeht, bilden Naivität und Schlitzohrigkeit offenbar ein trautes Paar – es ist andererseits aber ja gerade diese sehr sympathische Kombination, die Osnabrücks Bewerbung um den Titel der Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2010 überhaupt erst möglich gemacht hat.

CASPAR WIEDENBROCK