Alltäglicher Wahnsinn

Dank der Millionen des russischen Ölmagnaten Roman Abramowitsch könnte Stuttgarts heutiger Champions-League-Gegner FC Chelsea sogar die Vormacht von Manchester United bedrohen

AUS LONDON RAPHAEL HONIGSTEIN

Als Chelsea am vergangenen Dienstag die Verpflichtung von Arjen Robben bekannt gab, befürchtete die Polizei in Eindhoven schon das Schlimmste: „Mein Sohn geht nur über meine Leiche zu Chelsea“, hatte schließlich Vater Hans Ende Januar erklärt. Doch der zuständige Inspektor muss zum Glück keinen zwielichtigen Männern aus Moskau nachstellen, Hans Robben erfreut sich weiterhin bester Gesundheit. Der Manager des 20-jährigen Flügelspielers vom PSV hat in der Zwischenzeit einfach nur seine Meinung geändert: 20 Millionen Euro Ablöse und ein Jahresgehalt von 3 Millionen machten es möglich.

Robben, ein extrem talentierter Linksfuß, ist bereits der zweite Mann, den der Verein von Roman Abramowitsch für die nächste Saison gekauft hat; für 13,5 Millionen kommt auch der tschechische Nationaltorwart Peter Cech an die Stamford Bridge, wo heute Abend (20.45 Uhr, Premiere) der VfB Stuttgart versuchen muss, das 0:1 aus dem Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen den FC Chelsea wettzumachen. 13 Spieler für 201 Millionen in sieben Monaten, lautet die Zwischenbilanz der russischen Revolution in Westlondon, doch die Posse um Robben ist interessant, weil sie einen Machtwechsel beschreibt: Der Niederländer ist der erste Kicker seit vielen Jahren, der trotz eines Angebots von Manchester United lieber bei einem anderen Premier-League-Klub anheuert.

Alex Ferguson ist ein furchtbarer Grantler vor den Mikrofonen, aber er kann auch charmant sein. Uniteds Boss ließ Robben im Februar in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach England ausfliegen und zeigte ihm persönlich das Trainingsgelände und das Stadion. Arjen war angetan, der PSV in Finanznot, das Ergebnis absehbar. „Fergie bekommt immer seinen Mann“, lautet eine Fußballweisheit auf der Insel. Diesmal nicht. United bot 7 Millionen Euro und wollte Arjen erst für 2005, Chelsea sicherte sich die Dienste des Talents schon im Juli. Robben, der Wochen zuvor noch die verwegene Einkaufspolitik der Londoner offen kritisiert hatte, zeigte sich beeindruckt: „Ich hatte ein paar sehr gute Gespräche mit den Leuten von Chelsea, die haben mich von ihrem Konzept überzeugt. Der Plan ist, mit jungen Spielern und Talenten nach vorne zu kommen.“

United hat es nie leicht gehabt, absolute Superstars in den verregneten Norden Englands zu locken, doch wenn sich das Objekt der Begierde für die Premier League interessierte, kamen nur die Red Devils in Frage. Die sportlichen und finanziellen Perspektiven waren dort mit Abstand die besten auf der Insel. Doch seit Abramowitsch seine Lust am Fußball entdeckt hat, kann Chelsea in diesen Punkten locker mithalten, und der Standort London ist attraktiver: Die Restaurants sind besser, die Läden teurer, die Frauen schöner; und man muss sich in der Kabine nicht von einem „dogmatischen Dinosaurier aus Glasgow“ (Sunday Herald) zusammenfalten lassen.

„Die Tage von Gold Trafford sind gezählt“, kommentierte der Mirror schadenfroh. „Das schwarze Gold von Abramowitsch gibt jetzt den Ton an.“ Tatsächlich lag Chelseas Umsatz noch 2002/3 mit 135 Millionen knapp bei der Hälfte von dem von United, und von einem zweistelligen Gewinn wie in Old Trafford können die Blauen nur träumen. Angesichts der märchenhaften Rücklagen des Oligarchen spielen jedoch für den „roten Rom“ rote Zahlen keine Rolle, während die Aktiengesellschaft United konstant Rendite abwerfen muss und von Übernahmegerüchten gebeutelt wird.

Mit dem ehemaligen United-Geschäftsführer Peter Kenyon, der Manchester durch smartes Marketing in den 90er-Jahren zur größten und erfolgreichsten Marke machte, hat sich Abramowitsch den Mann geholt, der den Verein schon bald in einen blauen Riesen von internationaler Strahlkraft verwandeln soll. Es wird darüber nachgedacht, das Stadion auszubauen, und Kenyon hat am Rande des Robben-Deals einen bedeutenden Kooperationsvertrag mit dem PSV eingefädelt, der Chelsea den Zugriff auf viele internationale Talente sichert. Der Brasilianer Alex, ein auch schon von Bayern beobachteter Verteidiger, wird demnächst beispielsweise in Eindhoven geparkt, bis er die nötigen Länderspieleinsätze hat, um in Großbritannien ein Arbeitsvisum zu bekommen.

Das alles ist jedoch nur der Anfang. Glaubt man der Geschichte, die derzeit an der Themse jeder dritte Taxifahrer und jeder zweite Journalist „aus sicherer Quelle“ gehört haben will, arbeitet man in Westlondon schon fieberhaft an einem sensationellem Coup, der United und der ganzen Welt mit aller Gewalt zeigen will, wo es in Zukunft langgeht: Superstar David Beckham soll ein Blauer werden. Gattin Victoria und seine Söhne würden sich schon freuen, dass der Papa bald wieder im Beckingham Palace außerhalb Londons einzieht, heißt es aus dem Umfeld des englischen Kapitäns.