: Tamil Tigers am Rand der Selbstzerfleischung
In Sri Lanka verkompliziert ein Bruch in der tamilischen Rebellenführung den fest gefahrenen Friedensprozess
DELHI taz ■ Die tamilische Rebellenorganisation „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE) hat am Wochenende ihren Regionalkommandanten im Osten Sri Lankas wegen „verräterischer Tätigkeit gegen das tamilische Volk“ entlassen. V. Muralithatan, bekannter unter seinem Decknamen „Oberst Karuna“, hatte sich offenbar geweigert, 1.000 seiner rund 6.000 Kämpfer in den Norden zu verschieben. Die LTTE-Streitmacht wird auf 15.000 Männer und Frauen geschätzt.
Das Zerwürfnis mit der zentralen Führung kam, nachdem Karuna einen Brief an Guerillachef Vellupillai Prabhakaran gerichtet hatte, in dem er seine Region Prabhakarans direkter Kontrolle unterstellen wollte, statt wie bisher den über zwei Dutzend LTTE-Departementsvorstehern: „Lass uns direkt unter dir arbeiten. Wir sind nicht gegen dich, wir verlassen dich nicht.“
Dass diese Versicherung nicht wörtlich gemeint war, zeigte sich am vergangenen Donnerstag, als bekannt wurde, dass Karuna der srilankischen Regierung und den norwegischen Vermittlern angeboten hatte, einen separaten Waffenstillstandsvertrag auszuhandeln.
Es ist nicht bekannt, ob diese Entwicklung nur der Ausbruch einer lange schwelenden Krise ist. Man weiß aber, dass zwischen den Tamilen des Nordens und des Ostens subethnische Spannungen herrschen, basierend auf der weit verbreiteten Auffassung im Osten und in der zentralen Bergregion, dass die Jaffna-Tamilen jene aus anderen Regionen dominieren wollen.
Die LTTE-Führung beorderte rasch alle militärischen und politischen Offiziere unter Karuna nach Kilinocchi, dem provisorischen Rebellenhauptquartier. In einer Sitzung des Zentralkomitees am Samstag wurde Karuna angeklagt, „eine Sezession von der Befreiungsorganisation geplant“ zu haben. Sein militärischer Stellvertreter Ramesh wurde zu seinem Nachfolger ernannt. Bei einer anschließenden Pressekonferenz, bei der alle Offiziere aus Karunas Region antraten, erklärte der Chef der politischen Flügels, S. P. Tamilchelvam, der Friedensprozess werde durch diesen Verrat nicht berührt.
Zeitungen in Colombo zitierten am Sonntag Armeequellen, wonach tausende Kämpfer, die zu Karuna stehen, ihre Posten in den Städten Batticaloa und Amparai verlassen und sich in die Wälder zurückgezogen hätten.
Eine Rebellion in der LTTE-Führung ist ein beinahe unerhörtes Ereignis. Der Erfolg der Tamil Tigers wird von Beobachtern auf die quasistalinistische Kontrolle durch Prabhakaran zurückgeführt, der seine potenziellen Rivalen innerhalb der Gruppe ebenso kaltblütig eliminierte wie Kampfgefährten aus anderen Tamilen-Organisationen.
Karuna, dessen Rang ihn in die oberste Kaderstufe einordnet, ist Prabhakarans ältester Kampfgefährte und der Einzige, der in 17 Jahren seinen Posten als Regionalkommandant nicht verloren hat. Er steht seinem Chef nicht an Rücksichtslosigkeit nach und genießt den Ruf eines brillanten Strategen. Die Eroberung des wichtigsten Brückenkopfs der srilankischen Armee am „Elefanten-Pass“ im April 2000 wird ihm zugeschrieben.
Karuna gehörte auch zur LTTE-Delegation in den Friedensverhandlungen. Der bereits seit längerem schlingernde Friedensprozess wird damit noch unsicherer. Seit April 2003 blieb die LTTE den Gesprächen fern, und im November brach auf der Regierungsseite Streit über die Verhandlungsstrategie aus. Es folgte die Entlassung der Regierung durch Präsidentin Kumaratunga und die Ausschreibung von Neuwahlen.
Doch bisher hielt der Waffenstillstand. Der Chef der norwegischen Beobachtungsmission reiste am Freitag nach Kilinocchi, um der LTTE zu versichern, dass die Regierung in Colombo aus dem internen Zerwürfnis keinen militärischen Nutzen ziehen werde. In Colombo lehnte ein Militärsprecher Karunas Anfrage für einen separaten Waffenstillstand und für militärischen Schutz vor der Rache Prabhakarans ab. BERNARD IMHASLY
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen