Der Tour-Hype macht selbst den Giro platt

Wegen der Konzentration auf die Tour de France starten immer weniger ausländische Radsport-Stars beim einstmals so renommierten Giro d’Italia, der heute in Lecce beginnt. Für Team Gerolsteiner ist das Rennen indes „obligatorisch“

BERLIN taz ■ Im Rennkalender firmiert er als Landesrundfahrt. Leider nimmt der Giro d’Italia, der heute am Stiefelhacken in Lecce seine Fahrt über 3.449 Kilometer bis ins Ziel nach Mailand aufnimmt, diese Kategorisierung ein bisschen zu wörtlich. Denn die große Italienschleife versetzt im Jahre 2003 nur noch die Tifosi vor Ort in Wallung. Lediglich acht ausländische Mannschaften finden den Weg zum Giro, aus Deutschland zeigen gleich zwei Top-Teams der 86. Austragung des dreiwöchigen Klassikers die kalte Schulter. Coast, aufgrund unterbliebener Gehaltszahlungen ohnehin erneut vom Weltverband UCI gesperrt, setzt mit Jan Ullrich und spanischer Fraktion auf Tour de France und Vuelta, Team Telekom sieht sich nicht mal nach der Verpflichtung des Giro-Vorjahressiegers Paolo Savoldelli gefordert.

Für das Team Gerolsteiner hingegen ist der Giro „’ne obligatorische Sache“, wie Manager Hans-Michael Holczer kundtut. Was zum einen mit Fahrern wie Daniele Contrini und Gianni Faresin am „gewissen italienischen Potenzial“ seiner Truppe liege, selbst ohne Davide Rebellin, der nach seiner Schulterverletzung vor dem ersten Tour-de-France-Auftritt des Teams nicht unnötiger Sturzgefahr ausgesetzt werden soll. Allerdings, so Holczer, habe sein Kapitän schon vorher „mit einer vernünftigen Pause und dem Tour-Start geliebäugelt.“ Zum andern hat der Giro-Start von Gerolsteiner pragmatische Gründe. Als Top-Ten-Mannschaft des letzten Jahres müssen die Sprudel-Radler mindestens zwei große Rundfahrten bestreiten. Da ist die Tour „ein Selbstläufer“, und die Spanien-Schleife im September „denkbar ungünstig“. Dann will der zufriedene Sponsor, der gerade das Budget für mindestens zwei weitere Rennjahre zugesagt hat, seine Werbeträger lieber bei wichtigen Rennen in Deutschland sehen, zumal Gerolsteiner bei den Paarzeitfahren nach der Tour stets überzeugen konnte. Holczer: „Die Vuelta liegt einfach noch schlechter als der Giro.“

Das kleinere Übel leidet nicht erst seit diesem Jahr unter einem „Tour-Hype“, der, so Holczer, „dem Radsport insgesamt nicht zuträglich“ sei. Mangelnde TV-Präsenz außerhalb der Landesgrenzen haben Giro und auch Vuelta längst einen „starken nationalen Touch“ (Holczer) gegeben, der kaum mit sportlichem Anspruch und schwierigem Strecken-Profil korrespondiert. Die Frage nach Wegen aus dem Dilemma provoziert Holczers Sarkasmus. „Die einzige Möglichkeit ist der Kunstspucktrainer, der sagt: Meine Sportart kommt zu wenig im Fernsehen.“ Auch in Spanien, wo deshalb mit Once und Banesto zwei klassische Rundfahrtmannschaften ihre Rennmaschinen im Stall lassen. Und US Postal? Cofidis? CSC mit dem Vorjahreszweiten Tyler Hamilton? Fehlanzeige.

So starten notgedrungen gleich elf italienische Teams in den Giro. Die letzte Einladung ging ausgerechnet an die Equipe Formaggi Pinzolo Fiave, die jüngst nur mit der stümperhaften Manipulation einer Doping-Probe auffiel: Man wollte dem Kontrolleur mal eben das Pippi des sportlichen Leiters unterjubeln. Für die Dummheit Einzelner dürfe nicht gleich die ganze Truppe bestraft werden, reden sich die Verantwortlichen mal wieder bewährt heraus. Das passt ins Bild eines Giro, den so wohl einschlägig bekannte und vorbelastete Italo-Helden dominieren werden: Gilberto Simoni, Sieger 2001 mit viel Kokain in der Familie; der für jedes leistungssteigernde Experiment aufgeschlossene Dario Frigo; Stefano Garzelli, dessen Zweijahres-Sperre nach positivem Befund beim Giro 2002 vom Verband mal eben zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ja, sogar der gute alte Marco Pantani soll wieder ein bisschen in Form sein.

Team Gerolsteiner kann das alles kalt lassen. Klassement-Fahrer Georg Totschnig, 2002 immerhin Siebter und als einziger aus der Giro-Besetzung auch für die Tour vorgesehen, soll wieder in die Top Ten fahren, Sprinter-Talent Robert Förster erwartet nichts weniger als „eine Feuertaufe“ (Holczer) auf dem Terrain von Platz-Beau Mario Cipollini, der nur noch einen Etappen-Erfolg benötigt, um den scheinbar ewigen Rekord (41 Siege) von Alfredo Binda aus den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts zu egalisieren. Und die Youngster Ronny Scholz und Steffen Weigold sollen sich, so Holczer, „mal anschauen, wie das ist, da ganz oben drei Wochen lang mitzufahren.“ Wenn die Luft immer dünner und die Beine immer schwerer werden. Sie nennen es auch „Wettkampfhärte“.

So stehen bei Gerolsteiner eher mittel- und langfristige Effekte „für die Entwicklung des Teams“ (Holczer) im Vordergrund als der unmittelbare Erfolg. Den würde man natürlich auch gern mitnehmen. Hans-Michael Holczer: „Ich mach’ ja nix kaputt, wenn ich zum Giro fahre. Da ist die Medienresonanz immer noch größer, als wenn ich parallel woanders rumfahre. Das läuft ja nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit.“ Nicht mal als Landesrundfahrt. JÖRG FEYER