die stimme der korrektur: von proll und prolo, prof. und profi
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Es gibt Wörter, die gleich doppelt verletzen – die Logik der Sprache und den Anstand. Das Wort „Proll“ gehört dazu. Begegnet es mir, möchte ich es gleich umschreiben. Aber als Korrektorinnen, als Kommafuchser und Detektive für fehlende oder überschüssige Buchstaben sind wir nicht dazu berufen. Zudem ging es bereits „umgangssprachlich“ in den Duden ein, mit diesem verächtlich klingenden Doppel-l. Obwohl es sich von Proletarier herleitet – jenen, die schließlich auch die Notebooks der Journalisten produzieren.

Es soll ja Leute geben, die das gar nicht wissen und sich unter Prolls Menschen wie die Familie des Young British Artist Richard Billingham vorstellen, gewalttätig und erniedrigt, von ihm fotografiert und in Galerien preisgegeben – für ein voyeuristisches und selbstbestätigendes „die dort, wir hier“, eine Art Pornografie für Mittelschichten. Der junge mexikanische Künstler Santiago Sierra hat indessen eine Vorstellung vom Proleten und seiner Aufgabe in dieser Gesellschaft. Er ließ zehn Arbeiter stundenlang 24 Betonblöcke von je 2 Tonnen durch ein Museum bewegen. Die Kunst bestand darin, Arbeitskraft als Ware zu kaufen und ohne Rücksicht auf die physische Verfassung die Prolls zum Mindestlohn auszubeuten.

Das Wort „Proff“ übrigens erlaubt der Duden nicht. Das gibt es nur mit einem f und abschließendem Punkt, als Abkürzung, denn es kommt von Professor. Sie verpflichten sich durch Bekenntnis ihrem Staat. Der proletarius dagegen hatte bereits dem antiken Rom als Vermögensloser mit seiner Nachkommenschaft zu dienen – wie bis heute auch in Kriegen. Die französischen utopischen Sozialisten brachten uns Anfang des 19. Jahrhunderts den prolétaire ins Deutsche. Die Bürger dankten bald die dem germanischen arbejidiz innewohnende Mühsal, die sie den Proletariern auferlegten, mit dem abschätzigen „Prolet“. Und die modernen Professionellen – bestenfalls als Profis abzukürzen – machten ihn zum „Prolo“ und schließlich zum „Proll“.

Der sollte ihnen für eine weitere öffentliche Demütigung dienen. Doch dagegen wehrten sich Menschen aus den Appalachen in Kentucky. Les Moonves, Chef des Fernsehsenders CBS, war unter ihnen auf „Provinzlerjagd“ nach einer armen Familie, die er in einer Beverly-Hills-Villa inmitten obszönen Reichtums ein Jahr zur Schau stellen wollte. Erfolglos. Die Antwort aus dem armen ländlichen Amerika heißt: „Moonves fliegt in seinem Firmenjet über uns hinweg. Aber das berechtigt ihn nicht, auf uns hart arbeitende Menschen herabzublicken!“ So fordern Prolls den Anstand ein, der Profis verloren gegangen ist.        ROSEMARIE NÜNNING