Hier arm, da reich

Mit fließendem Tanz und zäher Belehrung eröffnet das Jugendperformancefestival „Play Mas“ auf Kampnagel

Am Anfang steht die Einteilung des Publikums in zwei Gruppen. Die „Armen“ nach links, die „Reichen“ nach rechts. Wer reich und wer arm ist, entscheidet eine Karte, die die PerformerInnen ihren Gästen am Eingang in die Hand drücken. Wenig später stehen die Publikumsgruppen auf der Bühne, zum „Warm up“, wie die argentinische Regisseurin Inés Sanguinetti es nennt. Sie tauschen Vorurteile aus, und es entsteht eine zähe Atmosphäre, die an den Stuhlkreis einer Selbsthilfegruppe erinnert.

Die pädagogische Einführung soll klar machen: Alle Grenzen, egal ob die zwischen arm und reich, gut und böse, klug und dumm, entstehen im Kopf. Nach diesem schleppenden Prolog flüchten die Zuschauer schnell auf die Tribüne, und dann bricht der Sturm über sie herein: Eine Horde Jugendlicher drängt, schubst, zerrt sich von der Treppe neben den Stuhlreihen hinab auf ihr kahles Spielfeld.

Voller Wut prügeln sie sich dort, mit einer Achtsamkeit füreinander, die verblüfft. Jede Faust landet wuchtig im Leib des Gegenüber und federt dann leicht zurück. Die Jungen und Mädchen rollen miteinaner durch den Raum – Katzen, verloren in ihrem Spiel.

Die Niemands heißt ihre Performance, mit der sie das internationale Jugendfestival „Play Mas“ jetzt eröffnet haben. Die Mitglieder der Gruppe Crear Vale La Pena wissen, wie es sich anfühlt, ein Niemand zu sein. Die meisten von ihnen kommen aus den „nicht registrierten Vierteln“ von Buenos Aires, wo Armut und Gewalt regieren. Während ihrer Ausbildung in der Selbsthilfeorganisation Crear Vale La Pena lernen sie, ihren Alltag tänzerisch zu ästhetisieren, und das auf atemberaubende Weise. Sie können alles: Hip Hop, Modern, Kontaktimprovisation und singen. Das zeigen sie, mit Lust an der Bewegung und mit großer Präsenz.

Ihre Story leitet das Motiv des Bandenkrieges wie in der West Side Story, und auch die tödlich endende Liebesgeschichte, wunderbar sinnlich erzählt von zwei Menschen, die sich tantrisch umeinanderwickeln, bleibt dieser Vorlage treu. Im Gegensatz zu der organisch stimmigen Choreographie wirken die politischen Aussagen allerdings sozialpädagogisch hölzern. Da erzählt eine junge Frau aufgebracht die Geschichte vom verträumten Wohlstandsjungen „Hans Guck in die Luft“, während ihre Mitspieler haufenweise leblos zusammenbrechen. An solchen Stellen droht die Inszenierung in künstliche Antagonismen abzugleiten. Die Armen nach links, die Reichen nach rechts. Alles andere wird vor diesem Hintergurnd belanglos. Katrin Jäger

Play Mas: heute: M.U.K.A. Project / Südafrika; morgen: Cybermohalla / Indien, jeweils 19.30 Uhr, Kampnagel