Die zwei Körper des King Creole

Sind wir nicht alle ein bisschen white trash? Eine ausführliche Retrospektive im Arsenal demonstriert, wie entscheidend die Hollywood-Maschinerie das Produkt Elvis Presley verändert hat – und welche Spuren Elvis bis heute im Kino hinterlässt

VON BODO MROZEK

Zwei Männer sitzen in einem Nachtclub. Was man denn mit Singen so verdienen könne, will der Jüngere wissen. „Man fängt klein an“, sagt der Alte. „Am Anfang vielleicht 85 Dollar in der Woche.“ Ein Haufen Geld für einen Hilfskellner im Jahre 1958. Wenn nur der Vater nicht dagegen wäre! Es braucht anderthalb Stunden und einige bittere Lektionen des Lebens, bis der Kellner doch noch der Sänger werden darf, der er im richtigen Leben längst ist. Dort heißt er Elvis Presley.

Die kleine Szene (mit Walter Matthau) stammt aus dem Film „King Creole“, in Deutschland bekannt unter dem albernen Titel „Mein Leben ist der Rhythmus“. Es war Elvis’ vierter Film und wahrscheinlich sein bester. Er erhielt dafür eine Gage von 125.000 Dollar plus fünf Prozent Gewinnbeteiligung. Das erste Album mit dem programmatischen Namen „Elvis“ hatte sich gerade bis zu 75.000-mal verkauft – pro Tag. Der Sohn armer Eltern aus dem amerikanischen Süden ist zu dieser Zeit der erfolgreichste Sänger in der Geschichte der Schallplatte. Er bestreitet zwei Drittel des Plattenumsatzes der Firma RCA. Dazu kommt das Merchandising: Allein im Jahr 1957 kaufen die Fans 120.000 Elvis-Jeans, 240.000 Elvis-T-Shirts und vier Millionen Elvis-Armbänder. „Gold aus heißer Kehle“ heißt ein anderer Film auf Deutsch – und bringt die Sache damit unfreiwillig auf den Punkt.

Elvis, das Goldkehlchen aus Tupelo/Mississippi, geschätztes Vermögen 250 Millionen Dollar, ist auf der Leinwand fast immer bettelarm. In den Filmen, die das Arsenal-Kino nun in einer Rückschau zeigt, putzt er die Yachten reicher Yuppies („Fun in Acapulco“), arbeitet als Roadie beim Zirkus („Roustabout“), ist einfacher Soldat („G.I. Blues“) oder führt Touristen herum („Blue Hawai“). Einmal, in „Flaming Star“, ist er sogar Cowboy. Niemals aber ist er der Superstar, der mit einem Achselzucken einen Cadillac als Trinkgeld an ein Zimmermädchen verschenkt oder mal eben zwei Groupies auf den Rücksitz winkt. Im Kino, und darin liegt vermutlich ein Erfolgsgeheimnis der Filme, ist Elvis genau wie sein Publikum: White Trash.

Das Kino ist mehr als eine kurze Episode in der Elvis-Story. Ganze 33 Filme entstanden in den Jahren zwischen 1956 und 1973. Hollywood verändert das Produkt Elvis entscheidend. Hier unterzieht er sich einer kosmetischen Nasenoperation. Er lässt sich die Zähne überkronen und sein blondes Haar schwarz färben. Er lernt die Frauen Natalie Wood und Joan Blackman kennen und lieben und auch die Barbiturate Seconal und Tuinal, Librium und Valium. Ebenso Speed und das psychoaktive Schmerzmittel Percodan. Letzteres angeblich, um die Marathonfahrten zwischen Memphis und Los Angeles besser zu überstehen.

Bei der Uraufführung des ersten Elvis-Films „Love me Tender“ prangt 1956 über dem New Yorker Paramount Theatre eine zwölf Meter hohe Elvis-Figur. Die Fans, die schon die Feuerleiter zu Elvis’ Penthouse im Knickerbocker Hotel in L. A. rund um die Uhr belagerten, werden von eigens abkommandierten Beamten des Board of Education in Schach gehalten. Der Rezensent der New York Herald Tribune schreibt, dass er die Dialoge des Films nicht rezensieren könne, weil sie im Begeisterungsgeschrei der Fans untergegangen seien. Elvis selbst macht sich über die Qualität des Films keine Illusionen: „Er war ziemlich übel“, gibt er später zerknirscht zu Protokoll. Was ihn nicht hindert, weitere Filme mit Titeln wie „Die wilden Weiber von Tennessee“ oder „Easy Come, Easy Go“ zu drehen.

Die Handlung ist meist wenig komplex. Ein mittlerer Held muss sich zwischen Gut oder Böse, Schwarz oder Blond, Ursula Andress oder Marguerita Dauphin entscheiden. Zwischendurch wird gesungen und getanzt.

Für Kenner aber bieten die Filme kulinarische Momente wie das Duett mit Ann Margret in „Viva las Vegas“ oder den Auftritt von Nancy Sinatra in „Speedway“. Auch die Soundtracks bergen versteckte Perlen abseits der bekannten Hits: etwa das dynamische Rythm&Blues-Stück „Slowly but surely“ in „Fun in Acapulco“, den Titel-Song von „Roustabout“ oder das erst kürzlich als heimlicher Club-Hit wieder entdeckte „Nightlife“ auf der „Flaming Star“-LP.

Die Filme selbst könnte man leichtfertig als Schlagerunterhaltung abtun, doch das hieße, das Wesen des Popgeschäfts gründlich zu verkennen. Tatsächlich hat man aus Elvis – entgegen dessen Ambitionen ein zweiter James Dean zu werden – nie einen seriösen Schauspieler machen wollen. Es ging vielmehr darum, bestmöglich ein Produkt namens Rock ’n’ Roll zu vermarkten. In beispielloser Konsequenz hatte sich Elvis’ Management der neuen Medien bedient: zunächst der Radio-DJs, dann der Lichtspiele. Das berühmte Konzert vom 14. Januar 1973, der Zenit seines Ruhms, wird live aus Honolulu übertragen – und von einem Drittel der Weltbevölkerung gesehen.

Die Leinwand-Karriere des Kings endete nicht mit dem 16. August 1977. Der wortkarge Dialog zwischen zwei japanischen Rock-’n’-Roll-Jüngern in Jim Jarmuschs „Mystery Train“ gehört zu den schönsten Filmszenen überhaupt. In dem Film von 1989 ist Elvis omnipräsent. Auch Laetitia Massons Einsamkeitsstudie „Love me“ (2001) beschwört seinen Geist, der dort in den abgehalfterten Sänger Lennox (Johnny Halliday) fährt. Und der Dokumentarfilmer Thomas Carlé porträtiert in „Der King und ich“ (2003) erwachsen gewordene deutsche Elvis-Fans, die in jenen Tagen, als Teenager noch träumen durften, das Wohnhaus des G. I. Presley in Bad Nauheim belagerten. Als Bonus gibt es dazu im Arsenal Fernsehaufnahmen wie den berühmten Auftritt in der Ed-Sullivan-Show von 1956.

Nach dem festen Glauben seiner Fans ist der Körper des Königs keineswegs gestorben. Wenigstens für seinen zweiten Körper, den auf der Leinwand, dürfte dies zutreffen. So gesehen steht die Kinokarriere von Elvis Presley vielleicht erst an ihrem Anfang.

Bis zum 25. 3. im Arsenal. Termine: siehe Programm oder www.fdk-berlin.de