„Das Gerede vom Wachstum bringt nichts“

Der Grüne Reinhard Loske über Wachstumszwänge, ökologische Leitplanken für Schröders Reformen und die Zukunft der Ökosteuer

taz: Herr Loske, Sie kritisieren, die Agenda 2010 des Kanzlers habe keine Richtung. Ist es für Änderungen durch den Koalitionspartner nicht zu spät?

Reinhard Loske: Das glaube ich nicht, denn es geht nicht um die Rücknahme einzelner Reformvorhaben. Wir wollen der Agenda 2010 eine Leitlinie geben. Es geht nicht um Schröder minus, sondern um Schröder plus.

Wie wollen Sie ökologische Prinzipien jetzt noch wirksam machen?

Nehmen wir zum Beispiel das 15-Milliarden-Programm für öffentliche Investition in Altbausanierung und Infrastruktur. Da wollen wir verhindern, dass das Geld einfach rausgeblasen wird, um ein Strohfeuer anzuzünden. Man sollte das Geld gezielt einsetzten: für Wärmedämmung und mehr Lebensqualität in den Städten.

Sie wollen auch künftig mit der Ökosteuer die Sozialsysteme entlasten. Verschleppen Sie damit nicht eher eine Reform?

Das ist wirklich eine Gefahr. Als durch die Ökosteuer 17 Milliarden Euro in die Rentenkasse flossen, wurde dadurch der Reformdruck erheblich kleiner. Deshalb wollen wir erst 2004, nach der Reform der Sozialsysteme, wieder über die Ökosteuer reden: Ohne Sozialreform kein frisches Geld aus der Ökosteuer.

Wie könnte die dann aussehen?

Das werden wir sehen. Zunächst aber steht im Vordergrund die Umwidmung der ökologisch schädlichen Subventionen. Statt viel Geld für Steinkohle oder die Eigenheimzulage zu zahlen, wollen wir ökologisch sinnvolle Projekte mit hoher Beschäftigungswirkung fördern.

Sind da wirklich so hohe Beträge herauszuholen?

Allerdings. Wir gehen insgesamt von rund 10 bis 15 Milliarden Euro aus.

Noch einmal: Wie könnte danach die Ökosteuer aussehen?

2004 werden wir im Lichte der aktuellen Energiepreise die Steuer weiterentwickeln. Sie wird anders aussehen. Künftig sollte der Verbrauch auch anderer Ressourcen als nur von Energie besteuert werden – dafür aber nicht so hoch.

Das heißt, künftig wird ein Hausbauer ein paar Euro Ökosteuer für den Flächenverbrauch zahlen müssen?

Das wäre jedenfalls vernünftig. Wir haben ja viele ökologische Ziele, zu denen sich die Regierung im Nachhaltigkeitskonzept verpflichtet hat. Ich nenne mal ein paar: Wir wollen den Kohlendioxidausstoß bis 2020 um 40 Prozent senken; wir wollen die Flächenversiegelung bis 2020 um 80 Prozent senken; wir wollen Ökolandbau, erneuerbare Energien und die Kreislaufwirtschaft drastisch ausbauen. Wenn wir keine weiteren Maßnahmen ergreifen, werden wir diese Ziele meilenweit verfehlen.

Wenn das alles so in der Nachhaltigkeitsstrategie des Kanzlers steht, warum dann nicht in seiner Agenda 2010?

Darüber sind wir auch erstaunt. „Agenda“ ist schließlich ein großes Wort – man denke an die Agenda 21 von Rio. Deshalb haben die Umweltpolitiker der Grünen ja dieses Papier veröffentlicht.

Clement verfolgt derzeit die Strategie, das Wachstum auf Teufel komm raus hochzutreiben. Ist das wirklich mit ihrem Ansatz kompatibel?

Wir sagen ganz klar: Eine richtungslose Wachstumsorientierung ist falsch. Bei Energie, Ressourceneffizienz, Gesundheit, Landwirtschaft, nachhaltiger Biotechnik sollen die neuen Jobs entstehen. Bei Wolfgang Clement habe ich oft den Eindruck, dass es heißt: Wachstum, Wachstum, Wachstum – egal wohin.

Der Wachstumsglaube ist inzwischen auch bei Grünen anzutreffen.

Wenn ich einige Leute bei uns von möglichst großem Wachstum reden höre, wird mir schon schwindlig. Es kommt auf die richtige Richtung an.

Welche Wachstumsraten halten Sie denn für erreichbar?

Ich halte nicht viel von der Fixierung auf die Wachstumsrate: Das Bruttoinlandsprodukt ist allein sicher kein guter Indikator für Lebensqualität und wirtschaftliche Vitalität. Schon der Begriff fördert eine einseitige Betrachtung.

Brauchen wir nicht mindestens zwei Prozent Wachstum, um unser Sozialsystem zu finanzieren?

Unser Modell ist auch der Versuch, ein wenig Wachstumsdruck von der Gesellschaft zu nehmen. Sonst treibt uns jede Konjunkturdelle in eine Krise.

Wenn Sie keine Gerechtigkeit mehr aus dem Zuwachs finanzieren können, wo soll das Geld dann herkommen?

Jetzt geht es erst einmal darum, die sozialen Systeme zu reformieren. Danach können wir wieder über Steuergerechtigkeit reden. Meine ganz persönliche Meinung ist, dass wir an die Erbschaftsteuer ranmüssen. Es kann doch nicht wahr sein, dass wir im öffentlichen Raum nur Schulden an die Nachkommen übergeben und im privaten Raum zum Teil gigantische Reichtümer weitergereicht werden.

INTERVIEW: M. URBACH, H. KOCH