Vom Vodoo-Kämpfer zum Friedensmagier

Nach dem brutalen Bürgerkrieg fällt den Menschen die Versöhnung schwer. Hassan Jallohs Truppe versucht, mit Kunst nachzuhelfen

BO taz ■ Die Trommel der „Culture Warriors“ prasselt wie Maschinengewehrfeuer. So ist das auch gedacht. Denn vor wenigen Jahren noch standen sich die Artisten als Feinde im sierraleonischen Bürgerkrieg gegenüber. Was sie waren und was sie heute sind – daran wollen sie mit ihrem Tanz erinnern.

Die Geschichte der Kulturkrieger beginnt in Kriegsgefangenschaft. „Ich war ein Kämpfer“, erzählt der 25-jährige Mohammed Kamara. „Bis zu dem Tag, als Hassan Jalloh mich gefangen nahm. Er brachte mich zu seinem Lager. Bei ihm bekam ich eine Familie.“ Und Hassan Jalloh gab Kamara einen Auftrag: „Er sagte, wenn der Krieg vorbei ist, müssen wir Kultur zu den Menschen bringen. Nur so könne sich das Land entwickeln.“

Kamara kämpfte auf Rebellenseite, als er auf Jalloh traf. Er beteuert, dass nur dieser Mann mit seiner übernatürlichen Kraft in der Lage war, ihn lebendig zu bekommen. Jalloh sagt, er habe nie mit einem Gewehr, sondern stets nur mit einem Schwert gekämpft. Seine Anhänger glauben, er habe magische Kräfte. Und Magie spielte im Bürgerkrieg und jetzt auch in den Aufführungen der „Culture Warriors“ eine wichtige Rolle.

Im dem ein Jahrzehnt dauernden Krieg Sierra Leones waren die Fronten selten klar. Soldaten und Rebellen bekämpften sich, wechselten die Seiten, machten gemeinsame Sache. Banden terrorisierten die Bevölkerung. Abgehackte Hände und Füße, Tötungen von Säuglingen und Greisen, Massenvergewaltigungen: Das waren die Markenzeichen des Bürgerkriegs.

An der Seite der demokratisch gewählten Regierung kämpften die Kamajors, anfangs rekrutiert aus traditionellen, dörflichen Jägern. Hassan Jalloh führte als Kommandant einige hundert der Kämpfer an. Heute sagt der 35-Jährige: „Auch im Krieg denkst du daran, was du danach machen wirst. Wir waren uns einig, dass wir wieder zu unseren Leuten zurückgehen müssten.“ Bei der Reintegration der ehemaligen Kämpfer hat der hoch gewachsene Mann mit den Rastalocken viele Schwierigkeiten erlebt. „ Es ist nicht einfach für die Gemeinschaft. Wir versuchen Kriegsopfer zu detraumatisieren. Und gleichzeitig ihnen von unseren Erfahrungen zu berichten.“

Heute ziehen Jalloh und seine Truppe durch das westafrikanische Land und klären die Menschen mit kleinen, selbst verfassten Theaterstücken, Tanz und Musik über die Ursachen des Krieges auf. Im Austausch mit dem Publikum scheint das Experiment Versöhnung erfolgreich.

Aussöhnung ist auch das Ziel der Wahrheitskommission in Sierra Leone. Anfang dieses Jahres endet ihre anderthalbjährige Arbeit. In den kommenden Wochen wird die „Truth and Reconciliation Commission“ einen fünfbändigen Abschlussbericht herausgeben. „Alleine schaffen wir es nicht, die Nation auszusöhnen“, erklärt Yasmin Sooka, Mitglied der Kommission. „Damit die Kämpfer wieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden, müssen wir den Versöhnungsgedanken in die dörflichen und religiösen Strukturen hineintragen.“

Auch der Friedensmagier Hassan Jalloh stand vor der Wahrheitskommission. Eine andere Einheit der Kamajors hatte in einem Racheakt seinen Vater getötet. Nach Jallohs Bericht trat spontan ein ehemaliger Kampfgenosse aus den Reihen des Publikums und gestand. Es kam zu einer Versöhnung unter Tränen. „Ich war froh, endlich genau zu wissen, wie es zum Tod meines Vaters kam. Und ich wollte auch, dass mir keiner später nachsagen kann, ich hätte noch offene Rechnungen“, so Jalloh.

Im Bürgerkrieg in Sierra Leone wurde die Gewalt bis in die Familien getragen: Bruder gegen Bruder, Vater gegen Sohn und so weiter. Versöhnung hat deswegen hier ganz besondere Aufgaben und Hürden zu meistern. Und knapp fünf Jahre nach Ende des Bürgerkriegs haben bei weitem nicht alle Menschen Frieden mit der Vergangenheit geschlossen.

Viele Opfer, darunter viele Zwangsamputierte, hatten sich vor allem individuelle Entschädigung versprochen. Denn ihre Möglichkeiten zum Broterwerb sind aufgrund ihrer Verstümmelungen drastisch eingeschränkt. Aber abgesehen von einigen allgemeinen Hilfsprogrammen gibt es entgegen ersten Planungen nicht ausreichend Geld für umfangreiche, individuelle Kompensation. Das brachte Unmut und böses Blut.

Denn schließlich fließe ja reichlich Geld für das Kriegsverbrechertribunal, so glauben viele in Sierra Leone. Gerechtigkeit gehe oft ihre eigenen Wege, sagen sich die Menschen. HAKEEM JIMO