Bass wie Mönch

Hinterm Himmel: Charlie Haden und Pat Metheney brachten in der Philharmonie keine Revolution zustande

Es gab Zeiten, in denen der Jazzbassist Charlie Haden vor seinem Publikum die Faust zum Kampfgruß der Revolution hob. In denen er, als er noch mit Ornette Coleman spielte, bei Konzerten mit Essensresten und Bierflaschen beworfen wurde. Aus solchen Zeiten stammt „Lonely Woman“, ein Stück von Ornette Colemans Album „The Shape of Jazz to Come“ aus dem Jahr 1959, mit dem Charlie Haden diesen Abend in der zu gut zwei Dritteln gefüllten Philharmonie eröffnet. Nur sind inzwischen die Zeiten anders geworden, und so ist es auch nicht mehr die Faust, die Charlie Haden heute erhebt, sondern nur noch der rechte Daumen.

Auch der Gitarrist Pat Metheney, mit dem Charlie Haden später im Duo spielen wird, spielt erst mal allein auf der Bühne. Eine Technikerin bringt ihm leise immer wieder andere Gitarren und trägt die gerade gespielte zurück. Seine 15-saitige Harp-Guitar etwa oder ein dreihalsiges Instrument, das wie eine Sitar klingt – alle übrigens gefertigt von der kanadischen Gitarrenbauerin Linda Manzer. Es wirkt sehr intim, wie er da steht. In Jeans und T-Shirt über sein Instrument gebeugt, als würde er in seinem New Yorker Studio mal eben etwas ausprobieren. Als die Haden und Metheney endlich zu zweit auf der Bühne erscheinen, geht ein Raunen durch den Saal.

Das Publikum ist sich dieses besonderen Abends bewusst. Jedes Stück des Grammy-prämierten Albums „Beyond the Missouri Sky (Short Stories)“, das die beiden engen Freunde, die sich seit dreißig Jahren kennen, 1997 aufnahmen, wird nach den ersten Akkorden erkannt und bejubelt. Kein Wunder: Nach Veröffentlichung des Albums dauerte es „vor allem wegen Terminverpflichtungen Metheneys“ drei Jahre, bis die Missouri Sky Duets erstmals aufgeführt wurden. Auch in Deutschland gab es vor dieser Tournee erst ein einziges gemeinsames Konzert.

Durch die langsamen atmosphärischen Kompositionen sind Metheney und Haden extrem gefordert, ein extensives Touren wäre mit diesem Programm gar nicht möglich. Metheney folgt Haden in die unterschiedlichen Stimmungen, bis hin zu freier, experimenteller Improvisation. Einmal streicht Haden mit seinem Bogen langsame, tiefe Töne aus seinem Bass, die wie der Obertongesang tibetischer Mönche klingen.

Und am Schluss minutenlange Standing Ovations, während Haden den „peace on earth“ beschwört. Die Revolution findet heute woanders statt.

MAXI SICKERT