Abschied mit Lächeln

Nach dem torlosen Unentschieden beim FC Chelsea beendet der VfB Stuttgart seine Tournee durch Europa mit der Erkenntnis, dass es für die Bundesliga zwar reicht, für viel mehr aber auch (noch) nicht

AUS LONDON RAPHAEL HONIGSTEIN

Auf dem Papier stand England gegen Deutschland, auf dem Spiel ein Platz im Viertelfinale der Champions League, das konkrete Match an der Stamford Bridge aber kam einem am Dienstag in den ersten 45 Minuten wie eines dieser gänzlich ereignislosen, lustfeindlichen Scheingefechte, die nur die Serie A so perfekt hinbekommt, vor: Der VfB Stuttgart, die im Grunde nur für Konter konzipierte, „erste italienische Mannschaft“ der Bundesliga, mühte sich da unter großem Aufwand vergeblich gegen einen zynischen FC Chelsea, der sich mit einem in der Premier League bisher einmaligen 8-1-1-System tief in der eigenen Hälfte verschanzte. „Noch tiefer, und sie wären schon in der Kings Road gestanden“, lästerte am Tag danach der Independent über Claudio Ranieris Zerstörertaktik.

In den Strafräumen passierte also nichts bis wenig; dementsprechend lange musste das Stadion auf den ersten Torjubel warten. Als die 38.000 endlich losbrüllten, hatte Schiedsrichter Kim Milton Nielsen schon eine ganze Weile abgepfiffen – der Stadionsprecher hatte den Ausgleichstreffer des FC Porto im Old Trafford verkündet. Chelsea war weiter, Manchester United draußen. Dann meldete sich eine junge, weibliche Stimme zu Wort: „Liebe Stuttgarter, der FC Chelsea möchte sich für euer Verhalten bedanken“, kam es in etwas angeknackstem Deutsch aus den Lautsprechern. Ein netter Gruß, wohl für die vorbildlichen Fans der Schwaben bestimmt, vielleicht waren aber ja damit in Wahrheit auch die wieder mal deprimierend harmlosen Stürmer der Gäste gemeint. Denn Chelsea hatte das Weiterkommen letztlich weniger den eigenen Defensivkünsten zu verdanken gehabt als den auf diesem Niveau leider unzulänglichen Bemühungen von Kevin Kuranyi, Cacau und Imre Szabics. Trotz vielen Spielanteilen und einer eindrucksvollen Sturm-und-Drang-Periode nach der Pause waren die drei in 90 Minuten in London zu keiner echten Torgelegenheit gekommen; und auch der spät eingewechselte Mario Gomez war in seinem ersten Profispiel nur durch ein Foul am eigenen Strafraum aufgefallen.

Die erste Champions-League-Teilnahme von Felix Magaths populärer Elf mag unglücklich zu Ende gegangen sein, mit Pech hatte das jedoch kaum etwas zu tun. „Wenn man in 180 Minuten nicht in der Lage ist, ein Tor zu erzielen, lässt sich das als Grund für das Ausscheiden heranführen“, dozierte der Teammanager mit feiner, britischer Selbstironie. Der Rest der Analyse war, wie so oft, eine nur schwach kodierte Forderung nach Neuverstärkungen für die Zukunft. „Wir haben im Sturm viele talentierte Spieler. Aber große Talente sind noch keine reifen Spieler von internationalem Format. Wir müssen bei unserem schmalen Budget jedoch nicht traurig sein, wenn ein Spieler einen Weltmeister wie Desailly nicht umkurven kann.“ Auch Timo Hildebrand, der dem deutschen Teamchef Rudi Völler auf der Tribüne mit einer famosen Leistung zu gefallen wusste, hatte das Manko erkannt. Der Truppe fehle im Angriff schlicht „die Erfahrung“, vermutete der Torwart.

Man hätte den jungen Wilden einen etwas spektakuläreren Schlusspunkt für ihre fulminante Europa-Tournee gegönnt, das torlose Unentschieden an der Themse brachte aber immerhin Stärken und Schwächen der Schwaben noch einmal haargenau auf den Punkt: Hinten steht die Null, weil die furchtlosen Andreas Hinkel und Philipp Lahm von etablierten Männern wie Bordon und Soldo geführt und beschützt werden; vorne leider auch, weil mit Kuranyi nur ein potenzieller Spitzenstürmer den Toren hinterherjagt, und die Kollegen Streller, Szabics und Cacau den Beweis noch schuldig sind, dass sie auch abseits von Provinzbühnen glänzen können.

In der Bundesliga wird die magere Ausbeute vermutlich gerade noch für die neuerliche Qualifikation zur Königsklasse reichen. Wenn der VfB allerdings auf Dauer „in London oder anderen tollen Stadien“ (Hildebrand) spielen will und nicht auch im nächsten Jahr der sympathische, spielstarke Außenseiter ohne Durchschlagskraft sein möchte, wird man sich wohl oder übel zur Verpflichtung eines teuren Torgaranten durchringen müssen. Diese Erkenntnis bleibt letztendlich als Fazit der erfolgreichen, dem deutschen Fußball wirklich sehr würdigen Teilnahme an der Champions League stehen. Kein Wunder, dass Magath, der smarte Einzelkämpfer im roten Haus, sich trotz des K.o. mit einem breiten Lächeln vom internationalen Parkett verabschiedete.