JOSCHKA FISCHER ALS EU-AUSSENMINISTER – OHNE EU-AUSSENPOLITIK
: Die faktische Kraft des Normativen

Die Nationalstaaten, befand Joschka Fischer vor genau drei Jahren in der Berliner Humboldt-Uni, sind zäh und werden uns noch lange erhalten bleiben. Andererseits ist es für die Europäische Union überlebensnotwendig, starke, effektive Institutionen aufzubauen. Also liegt, so Fischer damals, die Lösung in institutionalisierter Arbeitsteilung. In den Bereichen, in denen sich die Souveränität der Nationalstaaten ausdrückt, in der Außen- und Sicherheitspolitik, empfahl er beraten, koordinieren, auf Konsens hinarbeiten.

Damals, im Audimax, ging es um weit ausholende Planung. Heute geht es um brandaktuelle Politik. Der Job eines EU-Außenministers steht zwar schon seit Januar auf der Wunschliste des Europäischen Konvents. Jetzt aber, angesichts der Spaltung der EU, muss schnell gesprungen werden. Wer soll springen? Niemand anders als Joschka Fischer, dessen Befähigung für das künftige Amt soeben vom Bundeskanzler hervorgehoben wurde.

Was schlägt der deutsche Außenminister vor? Er weiß, dass die Nationalstaaten sich von ihrer außenpolitischen Kompetenz nichts Wesentliches abzwacken lassen. Sein Zauberwort heißt deshalb auch heute: zusammenfügen. Dies aber nicht als konsequenzloses Palaver, sondern durch einen institutionalisierten, auf Beschlussfassung orientierten Prozess, an dessen Ende verbindliche Positionen stehen. Dem Rat der Regierungen soll eine ausschlaggebende Rolle zukommen. Dem künftigen Minister aber sollen die bislang verstreuten außenpolitischen EU-Gremien zugeordnet weren.

Fischer glaubt also, politische Differenzen in den beiden Kernbereichen der Souveränität prozedural auflösen zu können. Er setzt auf die faktische Kraft des Normativen. Er sieht das eigentliche Problem in der Unterinstitutionalisierung der europäischen Außenpolitik. Aber werden Institutionen und Prozeduren nicht an Interessen zuschanden? Und käme es nicht darauf an, sich zunächst darüber zu streiten, worin diese außen- und sicherheitspolitischen Interessen der EU bestehen? Dafür einzutreten, dass die Möglichkeiten der Union nicht im Militärischen, sondern im Zivilen liegen und dass gerade dies die größte Chance der EU darstellt? CHRISTIAN SEMLER