nebensachen aus wien
: Jörg Haider als Retter des sozialen Friedens

Sozialpartnerschaft absurd

Zu den identitätsstiftenden Einrichtungen der österreichischen Gesellschaftsordnung gehören Neutralität und Sozialpartnerschaft. Beide standen auf der Abschussliste der von Wolfgang Schüssel geführten Wenderegierung. Der Marsch in die Nato scheiterte an der nötigen Verfassungsmehrheit ebenso wie an der neutralitätsfreundlichen Grundstimmung der Bevölkerung.

Auch die Sozialpartnerschaft lassen sich die Österreicher nicht so leicht nehmen. Denn die Einbeziehung von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen in politische Entscheidungsprozesse hat jahrzehntelang den sozialen Frieden erhalten. Manchmal auf Kosten nötiger Reformen, doch stets zur Wahrung der Stabilität.

Jörg Haider war es, der Emporkömmling aus der Provinz, der sich jahrelang auf Kosten der Sozialpartner profilierte. Die lange Jahre gepflogene Konsensdemokratie habe zu Packelei und Privilegienwirtschaft geführt. Kaum war die FPÖ in der Regierung, begann der Angriff auf die Bastionen der Gewerkschaften. Gewerkschaftsbosse wurden als „Bonzen“ verunglimpft, die nur ihre eigenen Pfründen verteidigten. Die Freiheitlichen verstanden sich als Anwälte der armen Würstchen, die es nicht richten konnten.

Gerade die sollen jetzt zur Kasse gebeten werden, wenn Schüssel seine Rentenreform durchsetzt. Daher steht Haider plötzlich in einer Abwehrfront mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund gegen Schüssels Reformpläne.

Und noch einer profiliert sich als Retter der Sozialpartnerschaft: Bundespräsident Thomas Klestil. Zweimal versuchte er ebenso redlich wie vergebens, die Haider-Truppe aus der Regierung fern zu halten. Deswegen gilt er der FPÖ als Reibebaum und ist auch seiner eigenen Partei, der ÖVP, entfremdet. Auch die Isolationspolitik der EU-14 gegen die konservative Wenderregierung wurde seinen Intrigen angelastet.

Dass Klestil jetzt dem Kanzler ausgerechnet auf Intervention der FPÖ in die Suppe spuckte, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Laut Verfassung hat das Staatsoberhaupt keine politische Funktion. Doch seiner Einladung zu einem runden Tisch über die Pensionsreform kann sich keiner ohne die Gefahr politischer Beschädigung entziehen. Nicht einmal Schüssel, der von diesem Schachzug überrumpelt wurde. Er will das Gesetz am 4. Juli vom Parlament absegnen lassen, denn der Staatshaushalt rechnet mit den geplanten Einsparungen.

Die Streiks des ÖGB glaubte er aussitzen zu können. Dem Hinterhalt des Koalitionspartners war er schutzlos ausgeliefert. Denn dahinter steckt Jörg Haider, der den FPÖ-Vizekanzler Herbert Haupt mit der Bitte um Vermittlung zur Erhaltung des sozialen Friedens zum Präsidenten geschickt hat. Gleichzeitig sorgte Haider dafür, dass die Medien von einem „geheimen“ Mittagessen erfuhren, zu dem er sich mit SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer traf. Der erste derartige Kontakt, seit Gusenbauer die Sozialdemokraten wieder nach links führt. So hat es Schüssel mit seinem autoritären Stil geschafft, dass ausgerechnet Jörg Haider zum Retter der Sozialpartnerschaft werden könnte. RALF LEONHARD