: Günter Verheugen: Verbittert über Alt-EU
Deutscher Kommissar wirft Politik vor, EU-Bürger zu wenig über Osterweiterung zu informieren
BRÜSSEL taz ■ Wenn das Europaparlament heute über die Berichte zur Erweiterung der EU abstimmt, wird es nur eine strittige Frage geben: Sollen die Verhandlungen mit Rumänien ausgesetzt werden? Dies zumindest empfiehlt die zuständige Berichterstatterin, die konservative britische Abgeordnete Baroness Nicholson of Winterbourne. Ihr Fraktionskollege Hans-Gert Pöttering warnte in der gestrigen Debatte des Europaparlaments dagegen vor einem solchen Schritt: „Wir kennen die Probleme, aber wir müssen die Verhandlungen intensivieren, nicht aussetzen. Das wäre das falsche Signal an die Menschen dort.“
Nicholson erinnerte daran, dass in vielen Gegenden Rumäniens Mindeststandards der Zivilisation wie Wasserversorgung oder Müllabfuhr nicht gewährleistet seien. Korruption reiche bis in höchste Kreise von Politik und Justiz. Sie habe Belege für unzählige Fälle, wo Kinder aus ihren Pflegefamilien heraus ins Ausland zur Adoption vermittelt worden seien – weil die verantwortlichen Beamten dafür Geld kassiert hätten.
Der für Bulgarien zuständige Berichterstatter Geoffrey Van Orden warnte davor, Bulgariens Beitritt wegen der Probleme mit Rumänien hinauszuzögern. Das Land sei im Zeitplan und könne 2007 fertig sein. Das Wirtschaftswachstum liege nahe bei fünf Prozent, die vielen Auslandsinvestitionen zeigten das gewachsene Vertrauen in die bulgarische Wirtschaft. Die Kommission solle in den vier noch offenen Kapiteln Wettbewerb, Regionalpolitik, Landwirtschaft und Budget ihre Position bis zum Sommer festlegen. Dann könnten die Verhandlungen noch mit der amtierenden Kommission im Herbst beendet werden.
Große Probleme gebe es weiter mit der Roma-Minderheit; das Thema betreffe aber auch viele alte EU-Staaten. Die Behörden müssten umdenken, aber auch die Roma-Gemeinde sei gefordert: „Natürlich brauchen die Roma Verständnis und massive finanzielle Unterstützung, aber sie müssen auch bereit sein, ihren Lebensstil ändern.“
Alle Redner betonten gestern, dass die gesellschaftlichen Reformen in den Beitrittsstaaten nicht abgeschlossen seien. So habe sich auch bei Portugal und Spanien gezeigt, dass viele Veränderungen erst innerhalb der EU zum Abschluss kommen könnten. Deshalb sei die Einschränkung des freien Zuzugs für Arbeitnehmer aus den neuen Ländern das falsche Signal.
Sehr harsch äußerte sich Erweiterungskommissar Günter Verheugen über die Katerstimmung in der EU kurz vor der Erweiterung: „Ich habe über Jahre darauf hingewiesen, dass es nötig ist, die Menschen mitzunehmen. Niemand in diesem Haus wird überrascht sein, dass die Ängste und Unsicherheiten jetzt wieder auftreten und zum Top-Thema in den Medien werden. Die politischen Eliten in den Mitgliedsländern hätten mehr tun müssen, um diese große historische Aufgabe verständlich zu machen. Ich sage das mit einer gewissen Bitterkeit.“
Angesichts der Kritik der Erweiterungsberichte an der fortdauernden Korruption in den neuen EU-Staaten erinnerte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Elmar Brok, daran, dass Korruption kein Problem sei, das nur die neuen Mitgliedsländer betreffe – wie die Schlagzeilen vom Korruptionsskandal beim Stadionbau in München deutlich machten.
DANIELA WEINGÄRTNER
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