Nirgends die geringste Spur

Berlins Miezen haben es schwer. Sie sind vielen Gefahren ausgesetzt. Die Geschichte einer Katzenentführung

Schmitti ist eine Katze von einnehmendem Wesen, sie ist sehr zutraulich, hat bernsteinfarbene Augen und ein auffallend schönes, rot getigertes Fell. Karin S. gehört zu der Fraktion von Katzenfreunden, die ihre Tiere aus Überzeugung nicht einsperren. Deswegen darf Schmitti immer, wenn ihr danach ist, ausgehen. Doch diese Freiheit wurde Schmitti jüngst zum Verhängnis: Sie wurde entführt. Wir dokumentieren den Fall im Wortlaut von Schmittis Mitbewohnerin Karin S. – auch weil es sich nicht um einen Einzelfall handelt.

„Der Anruf kam Sonntagmorgen um 5.30 Uhr. Eine Frau am anderen Ende sagte, sie habe unsere Katze auf der Straße gefunden – Schmitti trägt stets ein schwarzes Stoffhalsband mit unserer Adresse und Telefonnummer, von daher war es kein Problem, mit uns Kontakt aufzunehmen. Ich fragte natürlich sofort, ob ich Schmitti abholen könne. Wir verabredeten uns für den Mittag in einer Bäckerei in der Glogauer Straße, aber die Frau kam nicht. Schon beim Telefonat war ich skeptisch geworden, denn die Frau wollte mir partout ihre Nummer nicht geben. Da befürchtete ich schon, dass sie es sich anders überlegt hatte …

So etwas ist nämlich schon einmal passiert, als Schmitti im Löwenbräu von der Bedienung „geklaut“ worden war. Dort hatte die sich auf den Billardtisch gelegt. Sie ist einfach eine Katze, die die Gesellschaft von Menschen sucht. Deswegen hatte ich ja auch Angst, dass die Frau Schmitti einfach nicht mehr herausrücken wollte. Also habe ich rekonstruiert, was ich von der Dame wusste: die Staße, in der sie wohnt, und dass sie einen Hund hat … Weil Schmitti gerne am Fenster sitzt, hatte ich die Hoffnung, dass ich sie irgendwo von der Straße aus sehen könnte, und bin dort immer wieder auf und ab gelaufen. Gleichzeitig habe ich in Schmittis Revier 50 farbfotokopierte Suchzettel aufgehängt – die Frau hätte Schmitti ja auch einfach aussetzen können. Diese Aktion war nicht ganz billig, aber wenn man so eine schöne rote Katze sucht, kann man ja keine Schwarzweißkopien aufhängen. Nun ja, die Zettelaktion war aber nicht nur finanziell aufwendig: Wo immer ich sie anklebte, kam ich gleich mit Leuten ins Gespräch, zum Beispiel mit einem hilfsbereiten Mann, der meinte: „Den Zettel brauchen Sie hier gar nicht aufzuhängen! Geben Sie mir einfach Ihre Nummer. Ich bin hier nämlich der Katzenmann! Und zum Beweis rief er ein paarmal ‚Miez!‘ in den nächsten Hinterhof, und sofort kamen vier, fünf Katzen angesprungen.

Beim Zettelaufhängen traf ich ein junges Mädchen, mit dem ich die heikle Frage des Finderlohns diskutierte. Sie meinte, neuerdings würden einige ihrer Freunde so ihr Taschengeld aufbessern: Sie warten, bis eine Oma ihren Hund vor dem Supermarkt geparkt hat, klauen das Tier und melden sich, sobald die Zettel aufgehängt sind. Eine schlimme Entwicklung.

Vier, fünf Tage vergingen – es war unheimlich stressig, keine Spur von Schmitti, wenig Schlaf und blöderweise waren wir gerade dabei, die Küche zu renovieren. So etwas zehrt an den Nerven! Aber bei all der Sucherei ist mir doch aufgefallen, dass man in solchen Situationen einen echten Spezialistenblick auf die Stadt bekommt: Es gibt Ecken und Hinterhöfe, wo sich Katzen gerne aufhalten – und andere, wo man gar nicht erst suchen muss. Zum Beispiel im Park – da sind so viele Hunde, da sieht man nie Katzen. Weil sich aber nirgendwo die geringste Spur von Schmitti finden ließ, ging ich schließlich zur Polizei. Da musste dann erst mal das Delikt definiert werden – Katzenentführung fällt unter „Unterschlagung einer Fundsache“, das wusste ich vorher auch nicht. Ich hatte folgende Idee: Ich wollte, dass die Beamten im Hunderegister nachsehen, wer in jener Straße als Hundebesitzerin registriert ist. Mir lag nichts daran, der Entführerin Ärger zu machen, aber man ist in solchen Situationen in einem echten Dilemma. Jedenfalls wurde ich im Polizeirevier mit der Tatsache konfrontiert, dass es Katzenfreunde und Katzenhasser gibt. Die Polizistin, die das Protokoll aufnahm, gehörte zu letzterer Kategorie. Na, mir kam dann ein anderer Beamter zu Hilfe – ein echter Katzenfreund –, der mir versprach, in den nächsten Tagen mal nachzusehen, ich dürfe ihn dann wieder anrufen. Weil ich in der Zwischenzeit nicht untätig sein wollte, ging ich zu allen Tierärzten im Viertel, mit der Bitte, den Suchzettel unauffällig im Blick zu behalten. Ein Suchaufruf im Wartezimmer hätte ja unter Umständen abschreckende Wirkung gehabt.

Na ja, die ganze Sucherei hat sich schließlich gelohnt, als endlich der rettende Anruf kam. Wieder von einer Frau, die Schmitti auf dem Spaziergang im Gebüsch gesehen hatte. Schmitti hatte sich befreit – und genau darauf hatten wir gesetzt! Wir sind sofort los, haben den ganzen Abend gesucht – und sie tatsächlich gefunden! Sie war natürlich entkräftet, aber jetzt ist sie ja wieder da.

Und dieser Tage brauche ich mich nur mehr mit dem „Nachspiel“ zu beschäftigen – was für sich aber auch nicht uninteressant ist. Neulich z. B. klingelten ein paar Jungs an der Haustür und brüllten nur kurz in die Gegensprechanlage: „Schmitti will rein!“ Ich find es ganz lustig, wen Schmitti inzwischen alles so kennt. Aber als eine Nachbarin vorgestern im Hausflur nur noch „Hallo, Schmitti, wie geht’s dir?!“ sagte und mich nicht beachtete, wurde mir doch komisch.“

AUFGEZEICHNET VON
DOROTHEE WENNER