auf augenhöhe
: Strecken, biegen, dehnen – bei 40 Grad Celsius

Wo kommt nur der ganze Schweiß her?

Ich stehe auf dem rechten Bein, das linke darum herumgeschlungen. Meine Arme sind ebenso hilflos miteinander verknotet. Im Spiegel vor mir: eine verkrampfte Gestalt mit hochrotem Kopf. Ich. Harmonisch, elegant und vor allem entspannt sollte das eigentlich aussehen. Eigentlich. Es ist 20.15 Uhr. Der Ventilator summt. Und ich schwitze.

Aerobic, Step, Thai-Do – die Fitnessmoden der letzten Jahre – spurlos sind sie an mir vorübergegangen. Kein Gramm Fett, keinen Tropfen Schweiß und auch keinen müden Euro hat’s mich gekostet. Das soll sich nun ändern. Mit Bikram-Yoga, dem neuesten Fitnesstrend aus den USA. Die ersten Infos dazu gab’s im Internet. Bikram, das ist eine Art Sauna-Yoga. In einem auf 40 Grad Celsius aufgeheizten Raum verrenkt man sich anderthalb Stunden lang die Glieder. Madonna, John McEnroe und Geri Halliwell tun das – und nun ich. Ein Handtuch, leichte Sportbekleidung und eine große Wasserflasche sind dafür nötig. Mein offizieller Titel lautet jetzt: Studentin des Bikram Yoga College of India Berlin.

20.30 Uhr: „Guut – and Change!“, die amerikanische Trainerin Kim wechselt ebenso schnell vom Deutschen ins Englische wie wir – heute Abend sind es knapp 20 Schwitzwillige – die Yoga-Positionen. Dicht an dicht stehen wir auf der Matte. Eine bunte Mischung: Von der Studentin über die Schauspielerin bis hin zum rüstigen Rentner im Turnvater-Jahn-Dress. Fernöstliche Sinnsucher sind nicht darunter, und auch keine Fitnessfanatiker, die Muskeln und Markenklamotten präsentieren. Ebenso wenig stylisch: der Trainingsraum. Mit dem alten Teppichboden, den weißen Wänden und den Neonleuchtröhren verströmt er den Charme einer Chiropraxis.

20.35 Uhr: Der Ventilator summt. Ich schwitze.

20.40 Uhr: Lange ist es trocken geblieben, nun beginnt es zu tränen. Das Tattoo-Auge auf dem Schulterblatt von Astrid, die direkt vor mir trainiert. Schweißtränen perlen aus dem künstlichen Okulus. Bei mir fließen nicht nur einzelne Tropfen, sondern breite Ströme die nackten Beine hinunter.

20.45 Uhr: Die beiden Heizgeräte speien gnadenlos heiße Luft. Der Ventilator verteilt sie im Raum. Aber die Qual ist nicht umsonst. Das Ergebnis der Schwitzkur: „Harmonie von Körper, Geist und Seele“, das versprechen jedenfalls die Bikram-Yogisten auf ihrer Homepage. Wie das aussieht, konnte man auf der Seite auch gleich bewundern: Vor dem Tadsch Mahal posiert Guru Bikram persönlich. Mit konzentriertem Blick, die Handflächen aneinandergelegt, schwebt er im Lotussitz vor der malerischen Kulisse. Meine hochfliegende Hoffnung seither: Dank Bikram zur total relaxten Yogi-Fliegerin aufzusteigen. Doch ein Blick in den Spiegel und aus der Traum. Das Gesicht ist verzerrt. Ich schwitze.

21.00 Uhr: Halbzeit. „And Change!“ Nächste Figur. Wie viele haben wir schon hinter uns gebracht? Zehn, elf oder zwölf? Ich habe den Überblick verloren, weiß nur: Insgesamt stehen 26 Positionen auf dem Bikram-Programm.

Verbissen versuche ich, die schnellen Wechsel durchzuhalten: Grätsche, die Hände an die Fersen, die Stirn auf die Matte. „Change!“ Aus der Hocke ins Hohlkreuz, die Schultern berühren den Boden. „Change!“ Bauch auf den Boden, Kreuz krümmen, die Hände greifen die Füße. Mechanisch mache ich mit. Das Surren der Heizkörper lullt mich ein. Ich schwitze immer noch.

21.15 Uhr: Mein Spiegelgesicht ist nicht mehr rot, sondern fast weiß. Mir ist schwindelig. Das Tattoo-Auge dreht sich. Ich muss mich hinlegen. Augen zu. Liegen. Atmen. 20 Minuten lang. Dann mache ich doch weiter.

21.45 Uhr: „And Change und fertig!“ Jetzt bin ich tatsächlich am Ende. Und erinnere mich: „Bikram Yoga – für effizienten Stressabbau. Für mehr Ausgeglichenheit und Fitness“ – so steht’s im Prospekt.

Nun ja, der Schweiß hatte tatsächlich seinen Preis: Neben den 10 Euro für die Probestunde – meine Gesundheit. Statt ausgeglichen und fit fühle ich mich ausgelaugt und futsch. Ärzte warnen schon des längeren vor Bikram-Yoga. Sport bei solch hohen Temperaturen sei schädlich für den Kreislauf und für das Herz. Tja, nicht darauf gehört, nun bekomme ich’s zu spüren: Die ganze Nacht unerträgliche Kopfschmerzen. Danach noch zwei Tage Nackenverspannungen und schwere Glieder. Harmonie? Geist? Seele? Keine Spur.

ANNE RUPRECHT