Medienkanzler mimt Mimose

Kanzler beharrt auf Interview-Boykott der „Bild“-Zeitung. SPD-Politiker Glotz: Mimosenhafter Fehler. taz-Chefredakteurin verteidigt journalistische Prinzipien und geht auf Distanz zum Boulevardblatt

BERLIN ap/taz ■ Der ehemalige SPD-Spitzenpolitiker Peter Glotz hat die Kommunikationsstrategie der Bundesregierung scharf gerügt. Der Interview-Boykott von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gegenüber der Bild-Zeitung sei „ein Fehler, den die SPD immer wieder macht“, sagte Glotz. Solche Boykotte schadeten am Ende „dem, der sich verweigert“.

Man müsse „Zeitungen in Interviews manchmal kräftig Kontra geben, falsche Fragen zurechtrücken, kämpfen. Es macht überhaupt keinen Sinn, sich mimosenhaft ins Kanzleramt zurückzuziehen“, so Glotz, heute Professor am Institut für Medien und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen.

Dass der Medienkanzler diesem Rat folgt, ist derzeit nicht zu erwarten. Trotz offizieller Intervention der Bundespressekonferenz gegen den Interview-Boykott bekräftigte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg gestern in Berlin, Schröder habe eine „definitive Entscheidung“ getroffen, einem bestimmten Medium keine Interviews zu geben. „Diese Entscheidung steht und wird auch nicht verändert.“ Steg bestritt dagegen den Vorwurf, Medien wie Bild oder der Stern seien wegen ihrer Berichterstattung von Kanzlerreisen in die USA oder Türkei ausgeladen worden. Eine Auswahl der Medienvertreter für diese begrenzten, kostenpflichtigen Plätze sei üblich und unvermeidbar. Stegs Kollege Béla Anda hatte dem ARD-Magazin „Monitor“ erklärt, ob Bild-Mitarbeiter künftig auf Auslandsreisen des Kanzlers mitgenommen würden, sei „eine offene Frage“.

Die Bundespressekonferenz hatte am Dienstag gegen den Interview-Boykott protestiert. „Nicht weil wir Bild-Interessen vertreten, sondern weil so die Berichterstattung zur Grundlage von Zu- oder Absagen gemacht wird“, sagte BPK-Vorsitzender Werner Gößling. Mehrere Chefredaktionen, darunter die der Berliner Zeitung und der taz, hatten bei der BPK gegen diese „Medienpolitik“ des Kanzlers protestiert. „Wenn sich die Branche erst einmal genötigt sieht, grundrechtlich geschützte Prinzipien ihrer Arbeit zu verteidigen, bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als sich zu solidarisieren“, sagte taz-Chefredakteurin Bascha Mika und ging auf Distanz zur Bild-Zeitung. „Das bedeutet noch lange nicht, dass die taz die Boulevardmethoden von Bild verteidigt.“ Es könne „heute Bild und Stern, morgen aber jeden anderen treffen“, so Berliner-Zeitungs-Chef Uwe Vorkötter: „Es gibt Themen, die sind jenseits aller Wettbewerbsinteressen.“ STG