Łagów, das kleinste Städtchen Europas

Ab heute stellt die taz in wöchentlicher Folge lohnenswerte Ausflugsziele im polnischen Grenzgebiet vor. Erster Teil der Serie „Polen in einem Tag“: Łagów, die Perle des Lebuser Landes. Die Stadt ist nur 150 Kilometer von Berlin entfernt und hat sich seit der Wende zum Touristenzentrum entwickelt

An diesem Ort ist alles klein. Das polnische Tor aus dem 15. Jahrhundert, das Markttor aus dem 16. Jahrhundert, die sieben mittelalterlichen und barocken Häuser zwischen den Toren. Groß ist nur die Johanniterburg, die das Städtchen überragt: Łagów, die Perle des Lebuser Landes.

Spielzeugstadt und mittelalterliche Kulisse ist Łagów aber nur im Winter. Im Sommer verwandelt sich das Städtchen mit seinen 1.500 Einwohnern zum Touristenort, der seinesgleichen in Westpolen sucht. Dann ist alles voll und geschäftig. Die Restaurants an den Seeufern sind überfüllt. Zum Beispiel im Pod Lipami, zu Deutsch: Unter den Linden. Hier treffen sich polnische, deutsche und manchmal auch niederländische Touristen im Biergarten, essen, trinken, lauschen dem Akkordeonspieler, der jedes Jahr hier von Mai bis Oktober seinen Auftritt hat. „Der Sommer in Łagów ist unschlagbar“, sagt er, „hier gibt es sogar Glühwürmchen.“ Inzwischen hat er sich auch ein Haus hier gekauft, das ging, weil seine Frau, eine Schlesierin, die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt. „Nun pendeln wir“, sagt der Akkordeonspieler. „Im Winter leben wir in Berlin, im Sommer im Lebuser Land – fast wie früher, als Lagow zu den beliebtesten Ausflugszielen der Berliner gehörte.“

„Im Silberlicht des Mondes hebt sich vor dem Beschauer ein wunderbar reizvolles Bild aus den Fluten: auf sanft geschwungenem Hügel die dunklen Massen einer Burg, vom hochragenden Wartturm beherrscht, umgeben von einem Kränzlein kleiner Häuser: das ist Burg und Stadt Lagow, umspült von den Fluten des Lagowsees.“ So beschrieb die preußische Schriftstellerin Florentine Gebhardt 1912 das „kleinste Städtchen Preußens“.

Heute wirbt Łagów sogar damit, das „kleinste Städtchen Europas“ zu sein. Und auch eines der attraktivsten in Westpolen. In der Johanniterburg hat Siegfried Zwickel vor drei Jahren ein Hotel eröffnet. Eventtourismus à la Mittelalter samt Wohnen in der ehemaligen Folterkammer steht seitdem auf dem Programm. Aber auch eine Berliner Tangoschule hat für ihre Wochenendworkshops den Weg ins 150 Kilometer entfernte Łagów gefunden. Inzwischen stehen das Städtchen und seine Burg auch auf dem Programm einiger deutscher Reiseveranstalter.

Doch nicht nur nach Berlin hat Łagów seine Ausstrahlungskraft, sondern auch ins restliche Polen. Das hat mit dem „Lubuskie Lato Filmowe“, dem Lebuser Filmsommer, zu tun. Zwar gibt es das Festival bereits seit 1969. Zum absoluten Muss für Cineasten hat sich der Lebuser Filmsommer aber erst seit der Wende entwickelt. Seitdem steht der internationale Dialog ganz oben auf dem Programm, sagt Festivalchef Andrzej Kawala. „Schließlich ist Łagów auch eine Brücke zwischen dem Westen und Osten Europas.“ Entsprechend sieht auch das Programm aus. Nicht nur polnische Autorenfilme werden in Łagów gezeigt, sondern auch deutsche. Weitere Schwerpunkte sind das Kino in den anderen mittel- und osteuropäischen Ländern sowie die Bedingungen, unter denen es sich entwickelt. „Łagów ist kein Ort nur für Filme, sondern auch für Diskussionen, für Auseinandersetzungen. Łagów hat auch den Charakter eines Arbeitstreffens“, sagt Andrzej Kawala und freut sich über die Zusammenarbeit mit dem Festival des osteuropäischen Films in Cottbus.

Wem auch das zu viel ist, der kann rund um das „kleinste Städtchen Europas“ vor allem eines: die Seele baumeln lassen. Spaziergänge um den Lagower See oder den Tschetschsee haben übrigens schon die Sommerfrischler um die letzte Jahrhundertwende geschätzt. Florentine Gebhardt kam 1912 jedenfalls zu dem Schluss: „Mit Buckow, dem viel besuchten Mittelpunkt der Märkischen Schweiz, lässt sich Lagow am ehesten vergleichen, und doch möchte ich Lagow den Preis zuerkennen.“ UWE RADA

Nach Łagów kommt man am besten mit dem Auto über den Autobahnübergang Świecko, weiter auf der E 30 bis Poźrzadło, dann links. Unterkunft siehe www.lagow.pl/tur_pl.html. Nächste Woche: Weinanbau in Zielona Góra