„Scharon produziert die nächste Generation von Selbstmordattentätern“, sagt Schaul Arieli

Der Grenzzaun, den Israel derzeit baut, soll mehr Sicherheit bringen. Doch er wird genau das Gegenteil bewirken

taz: Herr Arieli, Sie sind gegen den Zaun, den Israel gerade errichtet. Hat die israelische Regierung nicht das Recht, ihre Bürger vor Terror zu schützen?

Schaul Arieli: Doch natürlich. Jede Regierung hat das Recht, ja die Pflicht, ihre Bürger zu schützen. Zur akuten terroristischen Gefahr gesellen sich auch Probleme krimineller Natur. Das Bruttosozialprodukt Israels ist 17-mal so groß wie das der Palästinenser. Jährlich werden Autos im Wert von über 200 Millionen Euro gestohlen, landwirtschaftliche Produkte kommen hinzu. Auch das sind Gefahren, die Israel zum Handeln zwingen. Natürlich wird der Zaun auch manches Selbstmordattentat verhindern.

Warum sind Sie dann gegen diesen Zaun?

Weil sein Verlauf die Lage verschärfen wird. Dieser Zaun schließt 300.000 Palästinenser auf der israelischen Seite ein. Und sie entzieht weiteren 400.000 Palästinensern, die auf palästinensischer Seite nahe dieser Mauer wohnen, die Lebensgrundlage. Kinder können nur mit größter Mühe oder gar nicht mehr zur Schule gehen, Bauern können ihre Haine nicht mehr pflegen. Die gesamte zivile Infrastruktur wird behindert. Dies gilt auch für die palästinensische Polizei, die jetzt noch weniger für Ordnung sorgen kann. Die Mauer wird eine verbitterte und auf Rache sinnende Bevölkerung und eine neue Generation von Selbstmordattentätern produzieren. Sie wird also gerade das Gegenteil bewirken: nicht mehr, sondern weniger Sicherheit.

Was wäre die Alternative?

Man muss den Verlauf ändern. Ein Zaun, der die Palästinenser nicht provoziert und gleichzeitig die Situation stabilisieren und beruhigen würde, könnte ein Katalysator für spätere Friedensverhandlungen sein. Aber dafür müsste der Zaun etwa entlang der Grenze von 1967 verlaufen, die Israel von den besetzten Gebieten trennt. Hier und dort könnte man den Verlauf vielleicht zugunsten einiger jüdischer Siedlungen, die direkt an dieser Grenze liegen, verändern – doch ohne De-facto-Annektion arabischer Ortschaften. Und ohne die katastrophale Behinderung der Palästinenser.

Parallel zum Zaunbau hat Scharon indes erklärt, dass sich Israel einseitig aus dem Gaza-Streifen zurückzieht. Warum?

Das ist eine Geste an die USA, die Scharon nicht viel kostet. Sie passt in seine Strategie: Er möchte die USA nicht verärgern – und er will nicht mit den Palästinensern verhandeln. Deshalb arbeitet er daran, dass es auf palästinensischer Seite keinen anerkannten Partner mehr gibt. Für Scharon ist es bequem, Hamas, die schon heute von der Hälfte der Palästinenser unterstützt wird, an die Macht kommen zu lassen. Denn dann kann er sagen: „Da seht ihr es. Sie sind allesamt Terroristen. Mit denen kann man nicht reden.“ Das will Scharon – bei gleichzeitigem Erhalt der US-Unterstützung.

Und was hat Scharon mit den besetzten Gebieten, dem Westjordanland, vor?

Die Räumung des Gaza-Streifens soll der Preis für die Teilannektion des Westjordanlands sein. Diese Landnahme wird ja durch den Verlauf des Zauns vorgezeichnet: Schon jetzt werden ca. 900 Quadratkilometer oder 15 Prozent des Westjordanlands annektiert. Hinzu kommen weitere Siedlungen und das Jordantal.

Und was wird aus den Palästinensern im Westjordanland?

Niemand spricht darüber, niemand weiß Genaues, doch jedem ist klar: Man rechnet damit, ihnen das Leben so zu erschweren, dass ein Großteil das Westjordanland verlässt. Das gehört zur Logik von Scharons Politik.

Und wie sieht Ihre politische Alternative aus?

Israel hat ein strategisches Ziel: nämlich das Ende dieses Konfliktes durch ein Abkommen. Nur auf die Trennung durch einen Zaun zu setzen, reicht nicht. Denn Israel und die besetzten Gebiete beziehungsweise das künftige Palästina sind eine geografische Einheit. Es ist ein Haus, und wir haben die gleiche Toilette: Wir haben nur ein Bewässerungs- und Abwassersystem. Gleiches gilt für die Umwelt, die Energieversorgung, die medizinische Versorgung. Die Trennung durch einen Zaun kann sinnvoll sein. Aber wir werden immer miteinander sprechen müssen. Alles andere ist Illusion.

Sie sind eine treibende Kraft in der Genfer Initiative. Warum glauben Sie eigentlich, dass Genf erfolgreicher sein wird als Oslo, Camp David und Taba, die allesamt gescheitert sind?

Bei den bisherigen Friedensbemühungen hat jede Seite eine geheime Agenda weiterverfolgt: Israel hat die UNO-Resolution 242 – Rückzug aus den besetzten Gebieten – zwar akzeptiert, aber trotzdem versucht, die Grenze zu seinen Gunsten zu verändern. Die Zahl der Siedler hat sich während des Oslo-Prozesses verdoppelt. Ähnliches gilt für die Palästinenser in Bezug auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge nach Israel. Ich glaube, dass wir dies in Genf vermieden haben. Wir haben einen schriftlich fixierten, klaren Text. Damit haben wir die Lücke zwischen dem öffentlichen und dem internen, heimlichen Diskurs geschlossen.

Fragt sich allerdings, ob dieses Papier je von den Regierungen unterschrieben wird.

Ich glaube schon. Viele palästinensische Minister haben die Initiative unterschrieben – mit dem Zuspruch Arafats. Der Ball liegt nun im israelischen Feld.

Und Israel wird diesen Vertrag ratifizieren?

Ja. Irgendwann. Denn eine israelische Regierung, die weder Frieden noch Sicherheit bringt, wird abgewählt werden.

INTERVIEW: TSAFRIR COHEN