Erregte Moralprediger

In Indonesien wollen klerikal-konservative Sittenwächter öffentliche Küsse, wilde Ehen und erotische Tänze unter Strafe stellen. Die Chancen dafür sind eher gering

BANGKOK taz ■ Wer die Webseite www.goyanginul.com anklickt, den empfängt auf rotem Hintergrund virtuelles Blitzlichtgewitter. Eine schwarze Gestalt beginnt mit ausladendem Hüftschwung zu tanzen. Diese kreisenden Hüften, die wie die Webseite Inul Daratista gehören, machen seit letztem Jahr Schlagzeilen. Inuls erotischer Tanz zu populärer „Dangdut“-Musik, einer Mischung asiatischer und orientalischer Klänge, ist im Inselreich mittlerweile berühmt-berüchtigt: Während die sexy Performance der 25-jährigen Sängerin ihre Anhänger zu Begeisterungsstürmen hinreißt, sind konservative Kleriker entsetzt. Mehrfach forderte der „Rat der islamischen Gelehrten“ ein Auftrittsverbot für das „Teufelswerk“.

Inuls kreisende Hüften führen immer wieder zu hitzigen Debatten darüber, was im größten muslimischen Land der Welt erlaubt ist und was nicht. Der Anachronismus ist überall spürbar: Während MTV, McDonald’s und Coca-Cola aus dem städtischen Alltag nicht mehr wegzudenken sind, versuchen Konservative eine islamische Renaissance durchzudrücken. Dies gipfelt in teils höchst umstrittenen Gesetzesvorlagen: So will ein Anti-Pornografie-Ausschuss des Parlaments künftig unter anderem Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit und erotische Darbietungen verbieten. Küssen sich Paare vor aller Augen auf den Mund oder tanzt jemand allzu freizügig, sollen sie – so der Plan – mit Haft bestraft werden.

Veranstalter erotischer Tänzen müssten mit zehn Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe von 1 Milliarde Rupien – umgerechnet 96.000 Euro – rechnen. Tänzer und Tänzerinnen wie Inul sollen wählen zwischen 5 Jahren Haft oder 250 Millionen Rupien Geldstrafe.

Damit nicht genug: Auf dem Singapur vorgelagerten indonesischen Eiland Batam, berüchtigt für seinen Sextourismus, planen die Behörden Razzien bei Privatpersonen. Wer als unverheiratetes Pärchen in seinem Haus aufgestöbert wird, soll mit umgerechnet 480 Euro Geldstrafe zur Eheschließung „ermuntert“ werden. Schließlich habe Indonesien im Gegensatz zum Westen hohe moralische Standards, brüstete sich ausgerechnet ein Behördenvertreter auf Batam, wo sich Bordell an Bordell reiht.

Die meisten der potenziell Betroffenen aber bleiben derzeit gelassen: Denn den Entwurf zum „Anti-Porno-Gesetz“ muss die Regierung noch absegnen, und das ist fraglich. Auch das Parlament scheint sich über den Inhalt uneins zu sein. Der politisch motivierte Islam in Indonesien befindet sich zwar auf dem Vormarsch, aber moderate Kräfte haben bislang noch immer die Oberhand behalten. Allerdings ist die Debatte über Moral vor den Parlamentswahlen am 5. April umso brisanter. Beobachter vermuten ohnehin, dass Vizepräsident Hamzah Haz und seine muslimische PPP mit islamisch besetzten Themen um konservative Wähler buhlen.

Die angeschlagene Präsidentin Megawati Sukarnoputri täte vielleicht gut daran, es ihrem Vorgänger Abdurrahman Wahid oder ihrem Ehemann Taufik Kiemas gleichzutun und sich als Inul-Fan zu outen. Oder deren Popularität für den Wahlkampf zu nutzen. NICOLA GLASS