Mein Thema: Soziale Standards

Wir fragen unsere Leser: Was wird 2009 besonders wichtig? Marcus Engler sagt: die europäischen Gewerkschaften

Was ist Ihr Thema für 2009? Mailen Sie an 30jahre@taz.de . Heute: Marcus Engler, 29, über die Aufgaben der europäischen Gewerkschaften.

„Yes we can save Molex Villemur“ haben die französischen Arbeiter von Molex auf ein Transparent geschrieben. Vor dem amerikanischen Konsulat in Toulouse protestieren sie gegen die Schließung ihres Werks für Autoteile. Die amerikanischen Eigentümer wollen die Produktion in die Slowakei verlagern, weil dort die Lohnkosten deutlich niedriger sind. Meldungen wie diese sind jede Woche in den Zeitungen zu lesen. Berichtet wird meist über Fälle im eigenen Land. Von den Arbeitern bei Molex erfährt der deutsche oder italienische Leser kaum etwas. Im Gegenzug ist die Geschichte des Bochumer Nokia Werks in Frankreich weitgehend unbekannt.

Doch erst, wenn man alle westeuropäischen Länder zusammen betrachtet, wird deutlich, wie tiefgreifend der Wandel ist, den wir durchleben. Gleich den Eisbergen der Arktis schmilzt die industrielle Basis Europas – langsam, aber stetig. Dabei ist es global betrachtet eine gerechte Sache, dass Länder wie China, Indien, Brasilien oder die Slowakei reicher werden. Das Problem ist, dass die sozialen Errungenschaften, die im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts erkämpft wurden, in rasantem Tempo den Bach runtergehen. Darauf zu warten, dass eine chinesische Mittelklasse entsteht und Sozialstandards von innen einführt, ist eine halsbrecherische Strategie. Unter dem Schlagwort der Globalisierung wird das Phänomen der globalen Verschiebung der Weltwirtschaft seit Längerem diskutiert. Die globalisierungskritische Bewegung scheint eingeschlafen zu sein. Die Globalisierung selbst schläft niemals.

Den europäischen Gewerkschaften kommt eine wichtige Rolle zu. Belegschaften und Gewerkschaften wissen, dass sie sich international solidarisch verhalten müssen, um langfristig eine Chance zu haben. Die Aufgabe ist sehr schwierig, denn kurzfristig droht die eigene Arbeitslosigkeit. Doch Arbeiter und Gewerkschaft müssen wissen: Es geht nicht nur um die jeweiligen Arbeitsplätze, sondern auch um die sozialen Standards, die in Europa bewahrt und im Rest der Welt aufgebaut werden müssen.

MARKUS ENGLER, Soziologe, lebt in Berlin. Promoviert über „Transnationale Solidarität am Beispiel der Auseinandersetzungen im Airbuskonzern“