Lehren, Leere, Leben

Glückliche Krüppel: „Happy Fish“, das Erzähldebüt des 27-jährigen Amerikaners Scott Snyder

Er hat keine Ausbildung abgeschlossen, kein Examen gemacht und keine Aussicht auf einen lukrativen Job. Er hat wechselnde, wenig befriedigende Liebesbeziehungen und wohnt – gerade 30 geworden – immer noch bei den Eltern. Aber Miles Fergus hat einen Plan: Er möchte endlich erwachsen werden, indem er etwas Sinnvolles tut. Und er beschließt, anderen Menschen zu helfen.

Eines Abends, als er mit seinem Wagen durchs Viertel fährt, einfach um die Zeit totzuschlagen, sieht er, wie ein Mann einer Frau auf der Veranda ein Messer ins Ohr rammt. Er hält an, steigt aus und schlägt den Kerl zusammen. Aber dann stellt sich heraus, dass der Typ nur das Hörgerät seiner Mutter untersucht hat.

Zur Strafe muss Miles Fergus 760 Stunden gemeinnützige Arbeit in einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche namens „Kehrt marsch!“ leisten. Anstatt die anderen mit ihren verkorksten Biografien auf den rechten Weg zu bringen, wünscht sich Fergus jedoch nichts sehnlicher, als dass jemand endlich aus seinem „chaotischen Leben ein ordentliches Lehrstück zurechtschustert“.

Acht solche Lehrstücke präsentiert der amerikanische Autor Scott Snyder in seinem Erzählband „Happy Fish“. Es sind meist junge, orientierungslose Männer, die nicht wissen, woran sie noch glauben sollen. Sie lungern herum oder machen Praktika, schlafen mit ihren Vorgesetzten und pflegen seltsame Hobbys: Sie suchen mit Metalldetektoren nach verlorenen Gegenständen, beobachten, wie fettleibige Kinder schwitzen, und sammeln Münzen mit Vogelmotiven. Das alles füllt sie allerdings nicht aus, weshalb sie dazu neigen, sich an Aufgaben festzubeißen, von denen sie sich eine Art Erleuchtung erhoffen. Einer reist seiner Exfreundin von New York nach Florida hinterher, um sie vor einem Hochstapler zu bewahren. Ein anderer erhält eines Tages per Post eine Sexpuppe. Er weigert sich jedoch, sie dem rechtmäßigen Besitzer zu übergeben, entführt sie und lässt sie vom höchsten Punkt eines Jahrmarktfahrgestells wie einen Ballon durch die Luft fliegen.

Scott Snyder hat nach dem College sieben Monate in Orlando, Florida gelebt und dort bei Disney World die Comicfiguren Pluto und Buzz Lightyear gemimt. Viele seiner Erzählungen spielen in Vergnügungsparks. Und fast hat man den Eindruck, als habe Snyder jede Gelegenheit genutzt, die aufregendste Zeit seines jungen, 27 Jahre währenden Lebens in Literatur zu verwandeln. Das ist ihm nicht immer gelungen. Etwa wenn er immer wieder nach neuen Metaphern für die gleichen Objekte sucht: Ein Luftschiff sieht mal aus „wie eine große Gewehrkugel“, mal wie „ein Walfisch“. Oder wenn er seine Figuren die Titel der Geschichten erklären lässt. Und manchmal, besonders bei den längeren Erzählungen, wirkt es, als habe er einfach keine Lust gehabt, einen Handlungsstrang wieder aufzunehmen und zu Ende zu führen. Die assoziative Gedankenführung und der Mangel an inhaltlicher Stringenz lassen sich aber auch als eine Strategie der Täuschung lesen: „Happy Fish“ besteht aus lauter Lehrstücken, die ins Leere laufen.

Scott Snyder entwirft eine schräge Welt, in der alle Menschen so aussehen, als seien sie aus einem Karussell geschleudert worden. Mit einem bösen, subversiven Humor hintertreibt er die sprachlichen Konventionen und gestaltet eine bunte Freakshow. Da gibt es einen gelähmten Country-Sänger, eine durch eine Gesichtsdränage entstellte Prominente und einen verbrannten Rollstuhlfahrer. Snyders Personal ist körperlich offensichtlich beschädigt, aber trotzdem glücklich. Und kurz bevor sie in ihrer guten Laune erstarren, lässt er einen „Krüppelprügler“ auftreten, der ihnen wieder zeigt, wo’s langgeht. JAN BRANDT

Scott Snyder: „Happy Fish“. Aus dem Amerikanischen von Lutz-Werner Wolff. dtv premium, München 2004, 218 Seiten, 14 Euro