Kleine Sekten sind Kult

Die Beratungstelle Sekten-Info Essen zieht Bilanz: Weniger Menschen gehen zu großen Sekten, dafür ist „Hilfe“ im kleinen Kreis gefragter

„Entscheidend ist nicht die Frage ob es sich um eine Sekte handelt, sondern was mit dem Menschen passiert.“

AUS ESSENMERJAM WAKILI

Praktische Lebenshilfe ist in. Religiöse Antworten auf Existenzfragen sind out. Denn nicht was man glaubt ist entscheidend, sondern die schnelle Hilfe. Diese Entwicklung verkündete die Sekten-Info gestern in Essen. Rund 140 Nachfragen verzeichnet der Verein im vergangenen Jahr zum Thema Esoterik. „Viele Menschen suchen schnellen Rat bei Alltags- oder Gesundheitsproblemen“, sagt Dieter Spürck, der seit Anfang diesen Jahres Rechtsberater bei der Sekten-Info ist. Sie würden dann auf fragwürdige Hilfsangebote reinfallen und sich in die Hände von Scharlatanen begeben. Das müssen nicht unbedingt Sekten sein: Auch so genannte Lebenshilfen aus dem esoterischen Bereich könnten schädigend sein. Zirkel wie der „Herzkreis“, in denen TeilnehmerInnen nach dem Schneeball-Prinzip Geld abgenommen wird mit dem Versprechen, ein Vielfaches des Einsatzes zurück zu erhalten, sind stark verbreitet. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs hat diese Schenkkreise als sittenwidrig eingestuft. In der Frage, ob die geprellten TeilnehmerInnen eine Entschädigung erhalten, gebe es gegensätzliche Urteile von Amtsgerichten. Die Essener Sekten-Info will nun einen neuen Anlauf starten, die Entschädigung von Geprellten durchzusetzen. „Entscheidend ist die Frage – neben dem finanziellen Schaden – was mit dem Menschen psychisch passiert“, sagt Spürck.

Die MitarbeiterInnen der Sekten-Info Essen beraten Menschen aus ganz Nordrhein-Westfalen. Sie ist die einzige Sonderberatungsstelle dieser Art in NRW und wird zu 80 Prozent aus Landesmitteln finanziert. Der Rest des Etats setzt sich aus Spenden und Vortragshonoraren zusammen. Die psychologische Beratung ist kostenlos. Seit Januar 2004 hat der Verein einen Anwalt, der in rechtlichen Belangen berät – ebenfalls kostenlos.

Ein aktueller Fall, den Dieter Spürck bearbeitet, handelt von einer Ärztin aus Essen. Diese behauptet, eine neue, ihr selbst unerklärliche Therapiemethode gefunden zu haben. Sie könne jedes Leiden bei jedem Menschen in drei Tagen durch intensive Gespräche heilen. Zudem habe sie eine Gruppe Jugendlicher um sich geschart, die ihr helfen sollen. Einige von ihnen hätte ihre Ausbildung abgebrochen und seien abhängig von dieser Ärztin, sagt Spürck. „Es ist besonders besorgniserregend, dass qualifizierte Mediziner mit Lizenzen in die Scharlatanerie abdriften.“ Als weiteres Beispiel nennt er den landesweit bekannten Doktor Rath, der bei großen Veranstaltungen Werbung für seine hochdosierten Vitaminpräparate mache und diese als Heilmittel gegen Krebserkrankungen anpreise. „Besonders gefährlich ist daran, dass solche vermeintlichen Heiler Patienten eng an sich binden, sie finanziell ausbeuten und so Abhängigkeiten schaffen“, warnt Spürck.

Bei den klassischen Sekten-Themen Okkultismus und Satanismus hat die Sekten-Info über tausend Anfragen im vergangenen Jahr gehabt. Das sei nicht ungewöhnlich viel, aber einen deutlichen Rückgang habe es auch nicht gegeben, berichtet Geschäftsführerin Sabine Riede. Die Verunsicherung war im Jahr 2002 besonders groß, als zwei Satanisten in Witten einen 33-Jährigen ermordet hatten.

Um die Sekte Scientology ist es ruhiger geworden. „Es gibtdeutlich weniger Anfragen und in den Medien wird das Thema auch immer mehr vernachlässigt“, sagt Sabine Riede. Dabei „missioniere“ Scientology weiter ganz rege. Das Magazin „free mind“ werde in Deutschland seit März 2003 vertrieben und werbe versteckt für die Sekte. „Die Zeitschrift preist Hubbard, den Gründer der Scientology, und druckt Interviews mit prominenten Anhängern wie John Travolta“, sagt Riede.

Eine „Checkliste für gemeine Gemeinschaften“ soll helfen, dubiose Vereine oder Sekten zu entlarven.

www.sekten-info-essen.de