„Uns wird die Perspektive genommen“

Berliner Bündnis fordert großzügige Regelung für Flüchtlinge. Vor allem Jugendliche könnten dann eine in Deutschland begonnene Ausbildung abschließen. Kirchenvertreter bedauert, dass humanitäre Gründe heute nicht mehr zählen

„Was haben wir geschafft? Gar nichts!“, brachte ein Roma aus dem Publikum die Lage der Berliner Flüchtlinge auf den Punkt. „Heute wird abgeschoben. Gestern und morgen auch.“ Das „Berliner Bündnis für eine Bleibrechtsregelung“ formulierte das Problem gestern bei einer Veranstaltung im „Haus der Demokratie und Menschenrechte“ etwas zurückhaltender. Vor dem Hintergrund der heute beginnenden Innenministerkonferenz in Erfurt hat die Vereinigung aus Kirchen und Menschenrechtsorganisationen erneut eine dauerhafte Aufenthaltsbefugnis für langjährig geduldete Flüchtlinge gefordert.

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) verstehe die Lage zwar, aber es fehle die letzte Konsequenz. Notwendig sei eine „großzügige Regelung“, die den Betroffenen ein Recht auf Arbeit, Ausbildung und Wohnung sichere, hieß es in einer Erklärung der Bleiberechtsinitiative, in der sich zahlreiche Migranten- und Flüchtlingsgruppen sowie Kirchenvertreter und Anwälte zusammengeschlossen haben. Denn die bundesweit 230.000 Flüchtlinge, die bislang eine Duldung besitzen, würden derzeit weitgehend rechtlos leben. „Wir können nicht mehr auf das Zuwanderungsgesetz warten“, stellte Flüchtlinghelfer Joachim Rüffer vom Deutschen Roten Kreuz Reinickendorf fest.

Der 23-jährige Ibrahim ergänzte, dass gerade junge Menschen verunsichert seien, die als Kind nach Deutschland geflüchtet waren und nun seit Jahren hier leben. Er selbst ist einer der 23.000 Betroffenen aus Berlin. Nachdem sein Vater vom türkischen Militär festgenommen wurde, flüchtete Ibrahim 1994 an die Spree und machte hier vor zwei Jahren Abitur. Studieren allerdings darf er nicht, nachdem ihm eine Aufenthaltsbewilligung zu Studienzwecken verweigert worden war. „Uns wird die Perspektive weggenommen, das tut natürlich weh“, stellte er fest. Und leider sei es keine Ausnahme, dass Menschen, die fließend Deutsch sprechen, kaum Kontakt zu ihrer Heimat und hier die Schule besucht haben, kein Bleiberecht bekommen.

Mit Blick auf Ibrahim stellte Hanns Thomä-Venske kopfschüttelnd fest: „Es gibt keinen vernünftigen Grund, wieso jungen Menschen Ausbildung und Studium verweigert werden!“ Aber der Ausländerbeauftragter der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg ist durch die Flüchtlingsarbeit Realist geworden. Er weiß, dass „humane Gründe heute leider nicht mehr zählen“ und verweist deshalb auf den „unglaublichen Aufwand“, den Abschiebungen mit sich bringen würden und auf das gewaltige Potenzial, das diese Menschen bieten. Seine Forderung an den Senat: „Abschiebeschutz bis eine Bleiberechtsreglung erreicht ist.“

MAXIMILIAN HÄGLER