Der Wind hat sich nicht gedreht

Während sich Bush im Krieg gegen den Terror auf der Siegerstraße wähnt, heißt es in Saudi-Arabien: „Weitere Anschläge sind unausweichlich“

aus Kairo KARIM EL-GAWHARY

„Der Krieg gegen den Terrorismus ist nicht zu Ende, aber der Wind hat sich gedreht“, hatte US-Präsident Bush noch vor wenigen Tagen an Deck des Flugzeugträgers „USS Abraham Lincoln“ in Siegerlaune verkündet. Seine Sicherheitsbeauftragten hatten sich wohl schon damals gewünscht, dass er sich vorsichtiger ausgedrückt hätte, auch wenn al-Qaida nicht, wie erwartet, während des Irakkrieges zuschlug.

Dafür war die Wahl des Zeitpunktes geradezu perfekt und voller Symbolik, um gegenüber dem selbstbewussten Bush den Gegenbeweis anzutreten. Die Ankunft von US-Außenminister Colin Powell im saudischen Königreich, auf der letzten Station seiner Nahost-Tour, stand unmittelbar bevor und die islamische Welt feierte den Geburtstag des Propheten Mohammed, da erschütterten Montagabend vier schwere Explosionen die saudische Hauptstadt Riad – die Opfer waren meist Ausländer, darunter besonders viele US-Amerikaner.

Über die genaue Zahl der Toten und Verletzten gibt es widersprüchliche Angaben. Nach inoffiziellen Informationen aus dem saudischen Innenministerium sollen mindestens 90 Menschen ums Leben gekommen sein, darunter neun Attentäter. Fast 200 weitere Menschen sollen verletzt worden sein. In Riad lebende Ausländer sagen, diese Zahlen seien möglicherweise zu niedrig gegriffen. Nach saudischen Angaben sind unter den Opfern sieben Amerikaner, zwei jordanische Kinder, sechs Saudis, ein Schweizer, ein Libanese und zwei Arbeiter von den Philippinen. Colin Powell bestätigte nach seiner Ankunft gestern in Riad, unter den Toten befänden sich mindestens zehn US-Amerikaner.

Drei Bomben explodierten in Wohnanlagen im Osten der saudischen Hauptstadt, in denen fast ausschließlich Ausländer leben. Von mehreren Gebäuden war anschließend nur noch das Betonskelett übrig. Alle drei Orte zählen zu den noblen Wohngegenden der Hauptstadt. Bei einem der Anschläge wurden nach Angaben des US-Botschafters in Riad, Robert Jordan, mindestens 12 Einfamilienhäuser und 16 Wohnungen zerstört. Ein weiteres Attentat galt einem Gebäude, in dem allein stehende Männer leben, die für ausländische Waffenfirmen arbeiten. Das Haus sei laut Jordan schwer beschädigt worden. In einer dritten Anlage haben die Attentäter ihren Sprengstoff bereits am Eingangstor gezündet. Ein weiteres Ziel war die Zentrale der Instandsetzungsfirma Siyanco.

Augenzeugen berichten zumindest bei einem der Anschläge von einem längeren Schusswechsel am Tor zu dem streng bewachten Wohnviertel, gefolgt von einer massiven Explosion, die die Türen und Fenster nach innen drückte. Nach der Explosion, erzählte ein schottischer Bewohner dem britischen Sender BBC, sollen weitere Schüsse zu hören gewesen sein. Er habe sich mit Bekannten in der Toilette eingesperrt, dem einzigen Raum mit einer noch intakten Tür, aus Angst, bewaffnete Männer könnten das Wohnviertel überfallen und von Haus zu Haus gehen.

Die saudischen Behörden geben sich bisher bedeckt zum genauen Tathergang. Innenminister Prinz Nadschef erklärte lediglich, Selbstmordattentäter hätten drei mit Sprengstoff beladene Fahrzeuge in die Wohviertel gefahren und gezündet. Colin Powell hatte wenige Stunden nach den Anschlägen bereits verkündet, die „feigen Anschläge“ trügen die Handschrift von al-Qaida. Der Terrorismus sei eine Bedrohung der zivilisierten Welt, jeder könne überall zur Zielscheibe werden, sagte er nach seiner Ankunft in Riad.

Tatsache ist, das die Anschläge alles andere als überraschend kamen. Noch am 1. Mai hatte das US-Außenministerium alle US-Bürger davor gewarnt, nach Saudi-Arabien zu reisen. Terroristische Gruppen befänden sich in der Planungsendphase von Attentaten gegen die Amerikaner im Land, hieß es als Begründung. US-Diplomaten, die nicht für die Aufrechterhaltung des Botschaftsbetriebs nötig waren, hatten sich bereitzuhalten, damit sie gegebenenfalls mit ihren Familien auf Kosten des US-Außenminsteriums evakuiert werden könnten.

In Saudi-Arabien arbeiten fast fünf Millionen Ausländer in allen Bereichen der Wirtschaft, die meisten aus Asien und anderen arabischen Ländern. Aber auch 30.000 US-Bürger leben in dem Wüstenstaat, darunter noch 5.000 US-Soldaten, von denen viele aber in nächster Zeit abreisen sollen, nachdem das US-Verteidigungsministerium vor zwei Wochen angekündigt hatte, den größten US-Stützpunkt in der Nahe Riads aufzulösen und nach Katar zu verlegen. Auch wenn die USA damit einer der wichtigsten Forderungen Ussama Bin Ladens erfüllt, war die Atmosphäre in Saudi-Arabien in den letzten Wochen reif für weitere Anschläge. Der Krieg gegen den Irak hat den Antiamerikanismus im Land weiter verstärkt, und militante Islamisten wissen, dass sie in dieser Situation in der öffentlichen Meinung durch spektakuläre Aktionen punkten können. So gab es in Saudi-Arabien in den letzten Wochen immer wieder Anzeichen dafür, dass eine größere Terroroperation bevorsteht (siehe unten).

Etwa zur gleichen Zeit erklärte ein Mann, der sich selbst als der neue Sprecher von al-Qaida bezeichnete, gegenüber dem saudischen Magazin Al-Majalla, seine Gruppe habe eine neue Führung aufgebaut, vollkommen unabhängig von den Planern des 11. September. Die neue Gruppe sei bisher nicht vom US-Geheimdienst unterwandert. Er ließ keinen Zweifel daran, dass für ihn der Wind noch aus der richtigen Richtung weht, und drohte: „Weitere Anschläge gegen Amerika sind unausweichlich.“