Russland trauert um seinen Patriarchen

Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Alexei II., ist am letzten Freitag im Alter von 79 Jahren gestorben. Der Patriarch galt als Symbol der russischen Wiedergeburt. Metropolit von Smolensk und Kaliningrad zum Interimsnachfolger bestimmt

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Moskau trauert um den Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche, Alexei II., der am Freitag im Alter von 79 einem Herzleiden erlag. Russlands Präsident Dmitri Medwedjew sagte einen Staatsbesuch in Italien ab. Auch Außenminister Sergei Lawrow bleibt vorerst in Moskau. Russlands politische Führung ist bemüht, der Öffentlichkeit Nähe und Ergebenheit gegenüber dem Verstorbenen zu demonstrieren. Als Interimsnachfolger des Patriarchen wurde Metropolit Kyrill von Smolensk und Kaliningrad bestimmt.

Alexei II. war nicht nur das Symbol für die Wiedergeburt der orthodoxen Kirche nach dem Zusammenbruch des Kommunismus Ende der 1980er-Jahre. Seit er 1990 das Amt des Patriarchen übernahm, gelang es ihm auch, die Rolle der Kirche in der Politik auszuweiten. Er machte kein Hehl daraus, dass er an die vorrevolutionäre Tradition der Orthodoxie als russische Staatskirche anknüpfen wollte.

Zwar erlaubt die gültige Verfassung dies nicht. Dennoch übte Alexei II. erheblichen Einfluss auf die politische Führung aus. Ob Russlands erster Präsident Boris Jelzin, Expräsident Wladimir Putin oder Moskaus Bürgermeister Luschkow – alle suchten die Nähe des Patriarchen. Sie wollten an dem Nimbus der Kirche als Inbegriff des wahren und unbefleckten alten Russlands teilhaben.

Alexei II. wusste die Bedürfnisse der moralisch orientierungslosen politischen Elite geschickt zu nutzen. So setzte er den orthodoxen Religionsunterricht an Schulen durch. Bei Feierlichkeiten im Kreml gab der Patriarch als einziger Geistlicher den orthodoxen Segen. Der Staat kam der Kirche schon in den 90er-Jahren entgegen und übertrug ihr das steuerfreie Handelsmonopol für Tabak und Alkohol. Damals reagierte die Öffentlichkeit noch empört. Zum Reformer Boris Jelzin blieb der Patriarch dennoch auf Distanz.

Den endgültigen Schulterschluss mit dem Kreml vollzog die Kirche erst, als Wladimir Putin den demokratischen Reformversuch abwürgte. Dessen autoritäre Rezentralisierung des Staates und die Rückbesinnung auf die imperiale Rolle Russlands entsprachen eher dem klerikalen Weltbild. Alexei II. wurde zur Ikone der russischen Wiedergeburt. Die geistige und moralische Wiedererweckung, die der Kirche offiziell zugeschrieben wird, leitete der deutschstämmige Patriarch indes nicht ein. In den ethnischen und rassistischen Konflikten Russlands war die mahnende Stimme des geistigen Oberhaupts nie zu hören. Wenn orthodoxe Gläubige pogromartige antisemitische Übergriffe verübten, unterstützte er ihr Treiben nicht offen, mahnte aber auch nicht zum Einhalten.

Unter seiner Ägide verabschiedete die Kirche eine Deklaration orthodoxer Menschenrechte, die sich gegen die Gültigkeit universalistischer Menschenrechte verwahrt. Als Alexei II. 2007 vor der parlamentarischen Versammlung des Europarates sprach, sorgte er mit seinen Ausführungen zur Homosexualität fast für einen Eklat: sie sei „eine Krankheit und Entstellung des menschlichen Wesens wie die Kleptomanie“.

Die russisch-orthodoxe Kirche ist neben der Armee eine der letzten Institutionen, die die sowjetischen Strukturen fast unverändert in die neue Zeit hinüberrettete. Über ein pikantes Detail wird in Russland kaum gesprochen: Alexei II. wurde seit 1958 unter dem Decknamen „Drosdow“ als Agent des sowjetischen Geheimdienstes KGB geführt. Dessen Aufgabe war, „antisowjetische Elemente in der orthodoxen Priesterschaft“ aufzutun. Der Karriere schadete es nicht, erklärt aber, warum die Kirche zum Tun des Staats grundsätzlich Ja und Amen sagt.