Klassenkampf der Verbraucher

Kein Internet, geringes Einkommen oder ländliche Wohngegend? – Pech! Jetzt bemängeln Verbraucherschützer die oft sehr willkürliche Benachteiligung bestimmter Konsumentengruppen bei Krediten, Versicherungen oder dem ganz normalen Einkauf

VON HANSJÖRG KISSEL
UND HERMANNUS PFEIFFER

In Deutschland werden immer mehr Menschen vom Konsum ausgeschlossen. „Wer auf dem Land lebt, wer keinen Zugang zum Internet hat, wer verschuldet oder krank ist, zahlt in vielen Fällen drauf oder bekommt viele Leistungen gar nicht“, sagte Edda Müller vom Vorstand des Verbraucherzentrale-Bundesverbands.

Anlässlich des heutigen Weltverbrauchertages hat der VZBV eine Untersuchung präsentiert, die vor einer zunehmenden pauschalen Benachteiligung von Verbrauchergruppen warnt. Viele Menschen könnten gewisse Dienstleistungen oder Produkte nicht in Anspruch nehmen, weil sie schlicht davon ausgesperrt würden.

Banken, Versicherungen und auch der Einzelhandel verteilen ihre guten Konditionen nur noch an „gute“ Kunden. Kundenkarten und der blühende Handel mit Verbraucherdaten lassen einen schnell zum bösen Kunden mutieren. „Wer zum Beispiel in der falschen Gegend wohnt, wird bei Versicherungen oder Handy-Verträgen zunehmend auf Schwierigkeiten stoßen“, sagt Müller. Der Konsument werde nicht an seinem individuellen Handeln gemessen, sondern pauschal nach Nationalität, Wohngegend oder Geschlecht abgeurteilt. Welche Faktoren genau letztendlich den Verbraucher abstempeln, weiß dabei nur das Unternehmen selbst.

Edda Müller erkennt darin einen klaren Schaden für die Volkswirtschaft. Es scheine weniger so zu sein, dass die Menschen Geiz immer geiler finden. Eher ist sei ihre Unsicherheit, die zur Konsumverweigerung führe.

„Verbraucher, schließt euch zusammen“ war 1922 die populäre Losung der Konsumgenossenschaften, der Millionen Arbeiter- und Angestelltenfamilien folgten. Damals steckte in diesen Verbrauchern noch ein gehöriges Potenzial zur Revolte, wie die Sülze-Unruhen in Hamburg 1919 zeigten. Der Fabrikant Jacob Heil hatte seinen Kunden Sülze vorgesetzt, die er aus Kadavern von Hunden und Ratten hergestellt hatte. Als Reaktion verprügelten die Konsumenten den Fabrikboss und stürmten anschließend das Rathaus der Stadt. Auch wenn der VZBV heute sicherlich nicht die Revolution ausrufen würde, zeigt er doch eine gewisse Aufmüpfigkeit gegenüber dem neoliberalen Mainstream, wie seine Studie beweist.

Ein anderes Beispiel ist die „digitale Spaltung unserer Gesellschaft“, die Müller beobachtet. Wer lieber anonym bleiben will im Datensumpf der Informationsgesellschaft oder schlicht, wie die Hälfte der Bevölkerung, keinen Internetzugang hat, kann die günstigen Preisangebote im Netz auch nicht nutzen. Da immer mehr Dienstleistungen von Behörden und Unternehmen nur noch im Internet angeboten werden, „sind Nichtnutzer strukturell benachteiligt“, so Müller. Besonders ältere und sozial schwache Menschen sowie Personen mit niedrigem Bildungsstand bleibe diese Welt verschlossen. „Die Einheitlichkeit der Lebensbedingungen, die ein Grundsatz der Verfassung ist, geht zunehmend zurück“, klagte die Verbraucherschützerin.

Um die Benachteiligungen für einzelne Kundengruppen zu reduzieren, erstellte die Verbraucherzentrale einen Maßnahmenkatalog. Darin fordert sie unter anderem einen gesetzlichen Anspruch auf Einrichtung eines Girokontos auf Guthabenbasis. „Wir schätzen, dass die Zahl derer, die keinen Zugang zu einem Girokonto haben, zwischen 200.000 und einer Million schwankt“, sagte Müller. Bargeldloser Zahlungsverkehr sei aber im Alltag praktisch unersetzlich. Außerdem müssten Wirtschafts- und Finanzthemen einen zentralen Stellenwert in den Schulen erhalten. Hehre Forderungen – die Realität sieht anders aus: Laut Müller plant das Wirtschaftsministerium von Mecklenburg-Vorpommern, die dortige Verbraucherzentrale zu schließen.